: SPRACHFREAKS
■ Sebastian Schoepp besuchte einen Sprachkurs in Salamanca
SEBASTIAN SCHOEPP besuchte einen Sprachkurs
in Salamanca
Schier unübersehbar ist das Angebot an Sprachschulen, Instituten, Colegios und selbsternannten Akademien in Salamanca, die sich darum reißen, dem Fremdling den Unterschied zwischen „para“ und „por“ oder die Geheimnisse des Subjuntivo beizubiegen. Durchschnittlich bezahlt man zwischen 400 und 1.800 Mark für einen Monat Kurs, je nach Klassengröße und Stundenzahl.
Allen voran ist da die 1254 gegründete Universität (Pastio de Escuelas Menores, 37008 Salamanca) zu nennen, die drittälteste der Welt. Der Eindruck, den die altehrwürdige Lehrfabrik vermittelt, ist recht unterschiedlich: Der eine fühlt sich sanft gebettet im Schoß der Wissenschaften, schwärmt von der Aura des Monumentalen und Großartigen, die den Studenten in den Wandelgängen des Patio de Escuelas und des Palacio de Anaya umgibt. Der andere wiederum hat das Gefühl, hier von einer monumentalen Staubwolke eingehüllt zu werden.
Das ganze Jahr über veranstaltet die Universität Sprachkurse für Ausländer, aber auch Seminare in Literatur, Geschichte, Kunstgeschichte, Wirtschaft und Handel. Ihr Ruf ist hervorragend, was sich allerdings auch auf die Kurspreise niedergeschlagen hat. Zudem gibt es Leute, die behaupten, das universitäre Unterrichtssystem entspräche der geschichtsbeladenen Würde der heiligen Hallen etwas zu sehr. Auch wenn die Zeiten des Fray Luis de Leon vorbei sind, als die Estudiantes noch auf kantigen Holzblöcken Platz nehmen mußten, die jedes Büßerbänkchen vergleichsweise wie ein bequemes Lederfauteuil aussehen lassen - ein entspannter Ferienkurs ist das nicht. Die gute alte Vorlesung gilt hier noch mehr als die gruppendynamische Lehrdiskussion, in der man sich duzt und weniger über Grammatik als über Mode und Politik spricht.
Etwas lockerer geht es in der Regel an den zahlreichen Privatschulen zu, die im Windschatten der Universität um Wißbegierige werben. So ziemlich alles ist geboten: von der reinen Feriensprachschule bis zum seriösen Institut, dessen Angebot mit dem der Uni durchaus konkurrieren kann. Billiger als die Universität sind sie fast durchweg. Allerdings sollte man schon genau hingucken, wo man sich einschreibt. Denn aufmachen kann eine solche Schule prinzipiell jeder, der einen Universitätstitel besitzt. Und das ist ja bekanntermaßen noch keine Garantie für Seriosität. Auskünfte und Empfehlungen in Deutschland kann man sich bei den spanischen Kulturinstituten holen. Die namhaftesten Anbieter sind nach einer subjektiven Auswahl wohl das Colegio de Espana (Calle Compania 65), die Schule Salminter (Calle Toro 34) und das Colegio de Estudios Hispanicos (Calle Bordadores 1). Hier ist die Atmosphäre in der Regel freundschaftlich bis familiär, ohne gleich in die Unverbindlichkeit eines reinen Sommer-Spaß-Ferienkurses abzusinken.
Mick aus Stoke-on-Trent, Großbritannien, ist Geologe und träumt davon, nach Chile auszuwandern, seit er mal auf Exkursion dort war. Deshalb lernt er jetzt Spanisch in Salamanca, das ihm in der ersten Woche wie Las Vegas vorkommt. „Good nightlife“, meint er, aber was ihn mächtig stört ist „this desert around here“. In der Tat erinnert die karge Meseta rund um Salamanca auf den ersten Blick stark an eine Wüste, die jedoch biei genauerem Hinsehen allerhand Kultur- und Natur-Oasen offenbart, wie Segovia, Avila, Aberca, Ciudad Rodrigo, die Sierra de Gredos etc. Die entgehen jedoch vielen, die nur für ein paar Wochen Sprachurlaub herkommen, um des Nachts in den Bars, Kneipen und Diskotheken (es soll angeblich 2.500 davon geben) der 200.000-Einwohner-Stadt richtig einen draufzumachen.
In der Klasse herrscht babylonisches Sprachgewirr. Fünf schwedische Studenten, drei deutsche Fremdsprachensekretärinnen, ein französischer Werbemanager, zwei holländische Freaks, ein schweigsamer Japaner, drei zurechtgemachte Italienerinnen, Willy, ein israelischer Reiseführer, ein Isländer - der halbe Globus ist vertreten.
Michael aus Los Angeles kommt zu spät. Zielsicher marschiert er durch das Klassenzimmer, läßt sein nicht unbeträchtliches Gewicht in den letzten freien Stuhl plumpsen. Schweißtriefend nimmt er einen tüchtigen Schluck Cola aus der Eineinhalb-Liter-Plastikflasche, die er nie aus der Hand legt, und fängt mit lauter Stimme an zu plappern. Seine bunten Shorts, das schreiend gemusterte Hawaii-Hemd, sein knallbunter Rucksack und die gepolsterten Turnschuhe lassen ihn für viele Klassenkameraden als das Klischeebild des Amerikaners schlechthin erscheinen. Das Michael eigentlich Miguel heißt, ursprünglich aus Guatemala stammt, Ronald Reagan und Hambuger haßt und über die US-Außenpolitik schimpft wie ein Sandinist, erfahren wir erst nach und nach. In Spanien ist er, um die Sprache seiner Ahnen aufzufrischen. Das ist an einem solchen Aufenthalt vielleicht das Wertvollste: Man überwindet seine Vorurteile.
Wer zusätzlich zum Sprachkurs ein paar Lektionen in Kultur und Geschichte belegt hat, kann nach der Stunde ausreichend Anschauungsunterricht nehmen in Salamanca: Die Römer verbanden die grünen Ufer des Rio de Tormes mit einer steinernen Brücke, über die sich noch vor wenigen Jahren der gesamte Verkehr von und nach Madrid wälzte. Die Araber wurden zwar nicht recht heimisch in Salamanca, vererbten jedoch ihre Sitte, allzu glatte Fassaden mit Ornamenten aller Art aufzulockern, an die kastilischen Architekten. Die vermengten die maurischen Einflüsse mit ihrer traditionellen Schachtelbauweise und mit Elementen der italienischen Renaissance.
Was dabei herauskam ist ein Baustil, den man plateresk nennt (von spanisch „Platero“, Silberschmied) und der sich durch seine Vorliebe für allerlei Ornamente, Wappen, Medaillen, Türmchen, Bögen, Figuren und Säulen auszeichnet. Ein guter Kontrast zur sonstigen Nüchternheit der kastilischen Mauern und Landschaften. Schmuckstücke plateresker Baukunst in Salamanca sind die Fassaden der Universität und des Konvents San Esteban.
Die Gotik bescherte der Stadt ihre Kathedrale, die direkt neben ihre romanische Vorgängerin gesetzt wurde. Protzig thront das Doppelbauwerk über der Stadt und spiegelt so die herausragende Stellung wider, die die Kirche hier seit jeher innehält. Den massiven Charakter der Kathedrale wußte im übrigen auch Diktator Francisco Franco zu schätzen, der das traditionelle stockkonservative Salamanca im spanischen Bürgerkrieg vorübergehend zu seiner Hauptstadt erklärte. Bei Angriffen der republikanischen Luftwaffe aus Madrid zog sich der „Cuadillo“ zum Beten in die Grüfte unter dem stabilen Gotteshaus zurück. Der Name des faschistischen Generals „schmückt“ daher noch heute in großen, roten Lettern die Fassade der Kathedrale. Die Nostalgie nach den „alten, ruhigen Zeiten“ ist in dieser Region Südspaniens nicht zuletzt wegen der hohen Kriminalität weitverbreitet; wenn auch nicht unumstritten, wie Spuren von Farbbeuteln um den Schriftzug dokumentieren.
Die Plaza Mayor wurde im 18. Jahrhundert mehr oder weniger auf die grüne Wiese gesetzt und raubte dem mittelalterlichen Viertel bald seine Zentrumsfunktion. Wer konnte, zog zum neuen Platz, um den sich Geschäfte und Verwaltungsbauten konzentrierten. Heute ist die Plaza das Herz der Stadt.
In dem historischen Areal um die Kathedrale blieben nur die sozial Schwachen und die Zigeuner, die einstige Schokoladenseite der Stadt mit ihren winkeligen Gäßchen ist seither dem Verfall preisgegeben. Überall eingestürzte Dächer, leere Fensterhöhlen, Balken und Schutt. Die Sanierungsprogramme der Stadt laufen schleppend an; es ist natürlich - kein Geld da. Wer das Viertel durchstreift, ahnt bald mehr von den sozialen Gegensätzen dieser Stadt, deren Einwohnerzahl sich seit den 50er Jahren durch die Landflucht fast verdoppelt hat. Das Wohlstandsgefälle ist dramatisch, die Kriminalität, die sich daraus herleitet, ebenso.
In der Tat ist es vor allem das Drogenproblem, das einem hier auf Schritt und Tritt begegnet: Junkies, die sich am hellichten Tage ihren Schuß setzen, gehören zum Straßenbild; die „Cacos“, oft rabiate drogensüchtige Kleinkriminelle, machen den nächtlichen Heimweg in bestimmten Vierteln zum Abenteuer. Die Stadtpolizei hat sich ein eher zweifelhaftes Gegenmittel ausgedacht: „Passen Sie gut auf Ihre Sachen auf“, ermahnt sie über die Presse ihre Bürger.
Zwei Monate sind wir jetzt schon hier. Im September waren die Tage erfüllt von trockener, staubiger Hitze, die Nächte jedoch klapperkalt - ein regelrechtes Wüstenklima. Nun kommt der Winter, und im Schnürlregen lüpft die Stadt ihre heitere Maske. Auf dem abendlichen Heimweg wirken die gewaltigen Sakralbauten nun noch monströser, man hat das Gefühl, das Mittelalter greife einem mit seinen kalten knochigen Fingern von hinten um die Gurgel. Da heißt es, schnell in eine der kleinen Bars zu huschen, um die düsteren Gedanken an Pest und Inquisition zu vertreiben, am besten bei einem Gläschen des samtweichen Toro-Rotweins aus dem nahen Zamora und ein paar Pinchos - kleine Appetithäppchen, die kostenlos zu Wein und Bier gereicht werden und an die man sich sehr gewöhnen kann. Das Schöne am Winter: Die kleinen Aufpreise fallen weg, die der Sprachschüler während der Hauptsaison meist für seine Cerveza berappen muß.
Die spanischen Studenten nehmen ihre Stadt, die sie im Sommer nur widerwillig an die Heerscharen der Ausländer abgetreten haben, wieder in Besitz. Nun trifft man auch mal jemanden, mit dem man endlich richtiges Spanisch palavern kann. Das ist in der Hauptsaison oft gar nicht einfach: Schon so mancher hat im sommerlichen Fremdenghetto Salamanca mehr Englisch als Spanisch praktiziert.
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