■ SPD und Koalition einigen sich über den Großen Lauschangriff: Nichts, was der Polizei weh tun würde
Politik ist eine Inszenierung, und selbst erbitterte Gegner halten sich an die Dramaturgie, wenn dies allen nützt. Auf dem Spielplan der innenpolitischen Bühne steht seit einigen Jahren (meist in der Spätvorstellung für eingefleischte Liebhaber dieses Genres) der Große Lauschangriff. In den Hauptrollen: die entschlossene Union, die will, daß „Gangsterwohnungen“ nicht länger für die Polizei „tabu“ sein sollen. Die besorgte Bürgerrechtsbewegung, die klagt, daß der Staat nun auch die Privatsphäre, den letzten „unantastbaren“ Bereich, verwanzen kann. Und die SPD in der undankbaren Rolle als Vermittlerin zwischen beiden Seiten.
Worüber aber niemand gerne redet: Es gibt den Lauschangriff bereits. Fast alle Polizeigesetze der Länder sehen ihn vor. Zwar geht es bei den Landesgesetzen offiziell nur um die Abwehr bevorstehender Gefahren. Der Unterschied zur Strafverfolgung, über die aktuell debattiert wird, ist jedoch nicht groß. Denn viele Ländergesetze (etwa in Bayern) verstehen unter Gefahrenabwehr auch die „vorbeugende Verbrechensbekämpfung“, die sich gegen alle Personen richtet, die vielleicht ein Verbrechen begehen könnten. Es liegt auf der Hand, daß dabei die gleiche Klientel belauscht wird wie bei der Strafverfolgung, für die ja auch bereits ein einfacher Tatverdacht genügt.
Wo die Landesgesetze dies vorsehen, kann die Polizei Wohnungen also auch schon heute nach Gusto abhören. Und die dabei gewonnenen Erkenntnisse können auch jetzt schon für Zwecke der Strafverfolgung weiterverwendet werden. Deshalb ist der sogenannte Große Lauschangriff keine große Neuerung für die Polizei, und mit der Unantastbarkeit der Wohnung stand es schon lange nicht mehr zum besten. Zur großen öffentlichen Debatte kam es nur, weil das Grundgesetz bisher nur präventive Lauschangriffe zuließ und für die Erweiterung auf Strafverfolgungzwecke eine Verfassungsänderung – mit Zustimmung der SPD – nötig war.
Was also hat die SPD in den aktuellen Verhandlungen erreicht? Die eingebauten „rechtsstaatlichen Sicherungen“ im Rahmen der Strafprozeßordnung können leicht umgangen werden, indem die Polizei ihre Maßnahmen auf Landesgesetze stützt. Für die Polizeigesetze der Länder wurden aber keine entsprechenden Sicherungen beschlossen, denn eine hierfür notwendige Verfassungsänderung wurde auch von den SPD-Innenministern abgelehnt. Kein Wunder, so etwas hätte der Polizei nämlich wirklich weh getan. Christian Rath
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