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SPD und Engholm: Halb zog sie ihn, halb sank er hin

■ Der designierte Parteivorsitzende der SPD gilt den Genossen als erträglich, den Unpolitischen als gut erzogen, den Machtpolitikern als einer mit „sensiblem Gehabe“ PORTRÄT

Kiel (taz) — Ein Motor sozialdemokratischer Politik ist Björn Engholm nicht und auch kein politisches Urgestein, das würden nicht einmal seine Freunde behaupten. Doch gestylt in englischem Garn und italienischem Leder, mit einem Glas besonders trockenem Weißwein in der Hand, ist er auch nicht nur „chromglänzende Zierleiste“ — wie Gegner zu polemisieren versuchen. Schon eher ist der Ministerpräsident die Karosserie der SPD in Schleswig-Holstein, um im Bild zu bleiben. Ein Gefährt, das seine Anhänger träumen läßt von einer gutbürgerlichen Zukunft für sich und die Sozialdemokratie.

Björn Engholm ist attraktiv, und das weiß er auch; nicht nur als gutaussehender 51jähriger, sondern auch anziehend durch eloquentes Auftreten und gutes Benehmen bei unpolitischen Wählerschichten. Er gibt sich verbindlich. Marksteine seines politischen Handelns sind nicht überliefert. Trotzdem weiß er sich in Sachfragen auch den politisch Interessierten gegenüber zu profilieren. Bei Pressekonferenzen trägt er nicht selten vor, was sein neben ihm sitzender Fachminister geschleust hat. Letzterer sagt dann oft kein Wort. Engholm weiß sich eben zu verkaufen, auch als ein von der Masse wählbarer „linker“ Politiker.

Der Partei gilt er als erträglich. Aber die Genossen nehmen es ihm übel, wenn er mal wieder den Urlaub am Mittelmeer einem ordinären Parteitag vorzieht. Sie halten seine Eitelkeit aus, auch wenn diese so gar nicht zu den Menschen zwischen den Meeren paßt. Aber es war nun einmal Björn Engholm, der der SPD in Schleswig- Holstein nach 33 Jahren CDU-Herrschaft zur Macht verhalf und auf den sich alle Hoffnungen stützen, daß diese Regentschaft auch das Wahljahr 1992 überlebe. Den in der SPD so geschätzten Stallgeruch von Arbeiterbewegung bringt Björn Engholm durch seine Ausbildung zum Schriftsetzer mit, wenn auch nicht gerade geballt. Doch nach erfolgreich abgeschlossenem 2. Bildungsweg und Studium ist davon nichts mehr ruchbar. Als Bildungsminister unter Bundeskanzler Helmut Schmidt 1981 erregte er mehr wegen seiner Jugend bundesweit Beachtung, wesentliche Reformen tragen nicht seine Handschrift. Doch war er immer Genosse genug, um auf harten Bänken Platz zu nehmen, so auf denen der Opposition, die er als Fraktionsvorsitzdender im Kieler Landtag sechs Jahre lang drückte.

Als seine Stunde dann kam, 1988, und sein Vorgänger Uwe Barschel den politischen Gegner durch kriminelle Machenschaften auszuschalten suchte, bewies Engholm einmal mehr sein politisches Gespür. Er ließ den Mitleidseffekt für sich arbeiten, ohne wehleidig zu erscheinen, wenngleich er damals gelegentlich auch öffentlich an den Rückzug aus der Politik dachte. Das Richtige zur rechten Zeit war auch die Berufung von gleich vier Ministerinnen sowie die Einrichtung des bundesweit ersten Frauenministeriums. Die Darstellung öffentlicher Nachdenklichkeit mag er. Sie gilt ihm als Beweis seiner selbsteingeschätzten Tugend, der Toleranz. Solches als „Gehabe“ beurteiltes Verhalten stößt allerdings Machtpolitiker alten Stils und deren Anhänger ab. Dabei wird das Machtbewußtsein Engholms häufig unterschätzt, nur weil er Macht als krankmachendes Ziel beschreibt. Ohne die Lust daran wäre er nicht einer der jüngsten Bundestagsabgeordneten — mit gerade 30 Jahren — gewesen und alles Folgende geworden.

Den versprochenen neuen politischen Stil — bei Engholm heißt das politische Kultur — hat er für sich umgesetzt. Dabei half ihm als Kontrastmittel sein Vorgänger Barschel, nach dessen Niedergang und Tod jeder andere weniger machtbesessen erscheinen mußte. Dieser sensiblere Weg bis hin zur Konturlosigkeit ist für Björn Engholm eine reale Gefahr. Der Mann für die harten Auseinandersetzungen mit dem politischen Mitbewerber ist er nicht. Für bissige und kämpferische Debatten muß sich Engholm seiner Landes- und Fraktionsvorsitzenden bedienen. Und wenn die dann zu weit gehen, verteilt er schon mal Rügen.

Sein Bekenntnis, daß er morgens vor 10 Uhr nicht arbeiten mag, läßt den voreiligen Schluß zu, Engholm sei faul. Nein, er zeigt sich nur gern als Genußmensch, der auf seinem Lebensrhythmus besteht — bislang noch. Das unterscheidet ihn von einem anderen „Enkel“ Willy Brandts, Oskar Lafontaine. Engholm holt am Abend nach, was andere ihm morgens vorauszuhaben glauben. Das Bild des glücklichen Familienmenschen und Vaters zweier erwachsener Töchter, des Bewohners einer vornehmen Altbauwohnung in der Hansestadt Lübeck und Gastgebers von Frauen und Männern mit Geschmack und Kunstsinn überstrapaziert er nicht. Auch hier findet er das Maß. Seine Lieblingsworte sind Ausdrücke aus der Psychoszene sowie das Wort „sinnlich“, das er nicht nur dort anbringt, wo es die meisten verwenden. Engholm beschreibt damit, was er gut und schön findet. Und so ist seine Liebe zu den Künsten folgerichtig. Weitere Lieblingsprojekte sind ein skandinavisches Bündnis, das er zu knüpfen sucht, und die von ihm erfundene Denkfabrik, in der kluge Köpfe nicht nur des Landes und nicht nur seiner Partei den Weg weisen sollen. Er will Visionen für Schleswig-Holstein und für sich. Und deshalb: Den parteiinternen Vorwurf, Engholm würde sich selbst mehr lieben als die Partei, den würde er nicht einmal bestreiten. Rudolf Gerhard

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