SPD-interner Streit um die Mehrwertsteuer: Die Mehrwertsteuer: Oskars Strategiedebakel
■ Die SPD scheint sich in der Frage der von der Bundesregierung geplanten Anhebung der Mehrwertsteuer gründlich verrannt zu haben. Vor allem dem...
Die Mehrwertsteuer: Oskars Strategiedebakel Die SPD scheint sich in der Frage der von der Bundesregierung geplanten Anhebung der Mehrwertsteuer gründlich verrannt zu haben. Vor allem dem Parteistrategen Oskar Lafontaine ist aus dem Blick geraten, daß so manchem SPD-regierten Bundesland sein Eigeninteresse schwerer wiegt als ein niederlagenträchtiges Oppositionskonzept.
Beifall für einen Parteistrategen: „Das war eine Super- Verhandlungsführung von Oskar Lafontaine, in voller Loyalität zum Parteivorsitzenden Björn Engholm.“ Das Lob des SPD-Fraktionsgeschäftsführers erntete der saarländische Ministerpräsident für seine Rolle als Verhandlungsführer der sozialdemokratisch geführten Länder im Vermittlungsausschuß. Oskar hatte hart gepokert, als es um das zwischen Bunderegierung und Bundesrat umstrittene Steuerpaket ging.
Das war allerdings im letzten Jahr. Wenn heute der Vermittlungsausschuß wieder zusammentritt, könnte sich herausstellen, daß bereits bei den gescheiterten Dezember-Verhandlungen die Weichen für eine sozialdemokratische Niederlage gestellt worden sind.
„Da kennen Sie unsere Ministerpräsidenten schlecht. Sie lassen sich nicht unter Druck setzen“, konterte — ebenfalls im Dezember — Parteivorsitzender Björn Engholm auf den Verdacht, daß die Einheitsfront der SPD-geführten Länder gegen die Mehrwertsteuer mehr der Parteiräson als der Geschlossenheit in der Sache geschuldet sei. Heute muß Engholm zugestehen, daß die Parteispitze nicht in der Hand hat, wie die SPD-Ministerpräsidenten letztlich abstimmen werden, wenn es in der nächsten Woche im Bundesrat zum Schwur kommt. Niedersachsen und Brandenburg ziehen nicht mehr am gleichen Strang wie das Duo Engholm/Lafontaine.
Die erste Darbietung im Streit ums liebe Geld ist der neuen SPD- Führungsgeneration gründlich mißglückt. Die Altvorderen unter Hans- Jochen Vogel haben das Geschäft der Haushalts- und Finanzfehden mit der Bundesregierung über viele Jahre zwar routiniert, aber meist konsensträchtig und daher wenig glanzvoll betrieben. Immerhin kannte die Öffentlichkeit im Normalfall die Meinung der SPD, der Parteichef gab den Ton an, und Konfusion herrschte im Regierungslager.
Das Thema, in das sich die SPD in den Dezemberverhandlungen wohl mehr hat manövrieren lassen, als sie selbst wollte, lautet: keine Mehrwertsteuerhöhung. Die von der Bundesregierung angestrebte Anhebung von 14 auf 15 Prozent lehnt die SPD aus zwei Gründen ab. Der „klassische“ sozialdemokratische Einspruch gegen die Steuererhöhung lautete, die Verbraucher dürften nicht auf ganzer Front erneut belastet werde. Aber mehr noch das konjunkturpolitische Risiko machten die Sache für Lafontaine zur „strategischen Frage“. Allerdings geriet dem Querdenker und Kommunikator dabei aus dem Blick, daß strategisch nur schwer ein Blumentopf gewonnen werden kann, wenn weder die Botschaft noch die Kräftekonstellationen stimmen.
Als „Botschaft“ verkündete die SPD vor allem das wirtschaftliche Risiko, daß die Bundesregierung mit einer höheren Mehrwertsteuer eingeht. Denn daß angesichts deutscher Einheit und anderer sozialpolitischer Wünsche wie etwa der Kindergelderhöhung mehr Geld in die Kassen fließen muß, bestreitet die SPD nicht. Ihr Vorschlag, den Solidarzuschlag auf die Lohn- und Einkommenssteuer weiterzuführen, ist jedoch kaum publikumsfreundlicher als der von Finanzminister Theo Waigel. Und eine höhere Staatsverschuldung als Finanzierungsquelle scheidet aus Sicht der SPD, die die Bundesregierung als „größte Schuldenmacherin“ kritisiert hatte, ganz sicher aus.
Doch was sind die Alternativen? Eine andere Struktur der Unternehmensbesteuerung, vielleicht eine Ergänzungsabgabe, der weitergeführte Solidarzuschlag oder die Bundesbankgewinne in die neuen Länder, kurz, die positive Aussage, was denn statt der Mehrwertsteuererhöhung richtig sei, fiel je nach Sprecher und nach Tagesform anders aus.
Wenn 1993, was so gut wie besiegelt ist, die EG eine Mehrwertsteuer von 15 Prozent erzwingt, dann ist „strategisch“ nicht mehr viel zu holen. Verhandlungsführer Lafontaine, der noch vor einer Woche den Parteirat der SPD einschwören wollte, hat vor den 15 Prozent der EG denn auch schon kapituliert. Das Parteipräsidium hinderte das nicht, die 15 Prozent des Wirtschaftsministers noch einmal knallhart abzulehnen.
Die Ministerpräsidenten sozialdemokratisch geführter Bundesländer, voran Gerhard Schröder aus Niedersachsen, zeigten sich unter diesen Umständen von den Solidaritätsappellen ungerührt. Eine geschlossene politische Front konnte Parteichef Björn Engholm nur wenige Wochen halten, die Eigeninteressen der Bundesländer wogen schwerer als ein undurchsichtiges und niederlagenträchtiges Oppositionskonzept.
Als die Gespräche im Vermittlungsausschuß im Dezember zu scheitern drohten, vermutete Partei- und Fraktionsvize Herta Däubler- Gmelin, daß die Reigierungsseite bis zur letzten Grenze austesten wolle, wie fest die sozialdemokratische Verhandlungsposition steht. Die Bundesregierung hat im Dezember nicht zu hoch gepokert. Tissy Bruns, Bonn
Schröder sperrt sich gegen Ost-Transfer
Wenn Theo Waigel über sein bisheriges Angebot nicht substanziell hinausgeht, wird Niedersachsen der Mehrwertsteuererhöhung nicht zustimmen, sagte gestern ein Sprecher der Staatskanzlei in Hannover. Ministerpräsident Gerhard Schröder wird im Vermittlungsausschuß die Interessen Niedersachsen persönlich vertreten, aber anders als sein einstiger Busenfreund Oskar Lafontaine kämpft er nicht um das Wahlkampfthema „Steuerlüge“. Weil dem rot- grün regierten Niedersachsen selbst erhebliche Haushaltslöcher drohen, will Schröder nicht die Steuererhöhung verhindern, sonder nur, daß der Länderanteil völlig gen Osten fließt.
Das jetzige Angebot Waigels bringe Niedersachsen trotz der Erhöhung des Länderanteils unterm Strich Verluste in Höhe von 450 bis 500 Millionen DM. Den Mehreinnahmen von 350 Millionen stünden 650 Millionen Miese aus der geplanten Streichung der Strukturhilfe gegenüber. Zudem führe die geplante Anhebung der Kinderfreibeträge zu Mindereinnahmen des Landes aus der Lohnsteuer von über 100 Millionen DM. Zustimmen könne Niedersachsen der Mehrwertsteuererhöhung nur, wenn das Erstkindergeld auf 100 DM angehoben und die Mehreinnahmen nicht nur auf die Ostdeutschen, sondern nach einem Schlüssel auf alle strukturschwachen Länder verteilt würden. Jürgen Voges, Hannover
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