: SPD hat keinen Rückzieher gemacht
■ Interview mit Heidemarie Wieczorek–Zeul (MdB), Mitglied des Vorstandes der SPD Hessen–Süd, über den „Rückzieher“ der Linken in Sachen ALKEM / Das Gespräch führte Klaus–Peter Klingelschmitt
taz:Heidemarie, du hast am 2. Februar in einem taz–Interview gesagt, daß die Ankündigung von Wirtschaftsminister Steger, der ALKEM eine Genehmigung auf der Basis von 460 kg Plutonium - auf zehn Jahre befristet - zu erteilen, keinen Bestand haben werde. Das Gegenteil ist jetzt, nach dem Parteitag Hessen–Süd, zu konstatieren. Hast du, haben andere Linke in der SPD den Mund zu voll genommen? Heidemarie Wieczorek–Zeul: Unsere damalige Hoffnung war, daß der Parteitag die Position der südhessischen SPD, nämlich die Ablehnung von ALKEM, noch einmal festklopfen würde. Damit sollte ein Koalitionskonflikt zwischen SPD und Grünen vermieden werden. Was ich nicht vorhergesehen habe, und das war mein Irrtum, war, daß zwischenzeitlich eine ganz andere Entwicklung eingetreten ist, die durch den Brief von Staatssekretär Kummer an Wallmann (Bekräftigung der Steger–Positionen, die Red.) und die Landesversammlung der Grünen gekennzeichnet ist. Das hat dazu geführt, daß das, was auf diesem Parteitag eigentlich geplant war, nicht eingelöst werden konnte. Aber in der Sache hat sich doch nichts verändert ... Das ist richtig, und in der Sache selbst hat sich die Position der südhessischen SPD ja auch nicht geändert. Ich zitiere aus dem Beschluß: „Die SPD hat sich auf allen Ebenen, nicht zuletzt durch Bundesparteitagsbeschluß, für einen Ausstieg aus der Plutoniumwirtschaft ausgesprochen. Diese Beschlußlage verlangt im Fall von ALKEM das Versagen der Genehmigung der Plutoniumverarbeitung für energiewirtschaftliche Zwecke. Daraus folgt auch, daß alle rechtlichen Möglichkeiten bis hin zum Anrufen des Bundesver fassungsgerichtes ausgeschöpft werden müssen.“ Im übrigen haben wir auf dem Parteitag keinen Rückzieher gemacht und auch nicht gekuscht. Das steht aber doch nur auf dem Papier. Die Politik, die Sozialdemokraten in der hessischen Landesregierung machen, und die von der Partei mitgetragen wird, ist eine andere ... Zwischen den Positionen der südhessischen SPD und der des Wirtschaftsministers ist der offene Dissens ja auf dem Parteitag sichtbar geworden. Wir sind für das Versagen der Genehmigung und er ist für eine befristete und begrenzte Genehmigung. Aber man/ frau muß auch offen sagen: Die Frage, ob ALKEM genehmigt wird oder nicht, ist in letzter Konsequenz die Entscheidung der Bundesregierung in Bonn. Und ohne Änderung der gesetzlichen Grundlagen gibt es keinen Ausstieg aus der Plutoniumwirtschaft. Der 25. Janauar war eben nicht nur eine Niederlage für die SPD, sondern auch für die Kernkraftgegner und -gegnerinnen. Welchen Sinn soll denn der angestrebte Gang nach Karlsruhe haben, wenn er auf der Grundlage der Steger–Entscheidung tatsächlich erfolgen sollte? Es ist richtig, daß durch den Brief des Wirtschaftsministers die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht schwerer geworden ist. Aber selbst wenn das Bundesverfassungsgericht einer hessischen Klage stattgeben würde, wäre die Konsequenz noch nicht die Nichtgenehmigung von ALKEM. Dann würde das BVG nur feststellen, daß die gesetzliche Grundlage für die Weisung aus Bonn nicht ausreichend ist. Dann würde voraussichtlich der Bundestag das Gesetz ändern. Und dann müßten sich die Rechten im Bundestag offen zur Plutoniumwirtschaft bekennen. Aber die Konsequenz wäre auch dann, daß ALKEM genehmigt werden müßte, auch unter einem grünen Minister. Und diese Wahrheit müssen die Grünen ihren Wählerinnen und Wählern auch sagen, statt die SPD als Interessenvertreterin der Plutoniumwirtschaft zu diffamieren. Aber das stimmt doch so alles nicht, was du da erzählst ... Laß mich noch sagen, daß diese Bundesregierung dann wahrscheinlich zugunsten der Plutoniumwirtschaft entscheiden wird. Klaus Traube hat auf dem Hessen–Süd Parteitag dargestellt, was tatsächlich Sache ist. Auf der Grundlage der Steger–Entscheidung, mit 460 kg Plutonium und der Befristung, kann man nicht nach Karlsruhe gehen. Wer selbst die Plutoniumverarbeitung genehmigen will, der kann doch nicht vor dem Bundesverfassungsgericht glaubwürdig gegen die Plutoniumwirtschaft argumentieren. Eine Befristung sieht das Atomgesetz ohnehin nicht vor. Dieser Gang nach Karlsruhe - und ich zitiere hier deinen Parteikollegen Traube - ist von Steger und seinen Beamten vereitelt worden. Und diese Steger–Entscheidung trägt die SPD jetzt mit. Dann hast du den Beschluß nicht richtig gelesen. Und du hast nicht zugehört, was ich auf dem Parteitag gesagt habe. Ich habe meine Position nicht revidiert, wie das am Montag fälschlicherweise in der taz stand. Ich habe gesagt: „Die Plutoniumverarbeitung bei ALKEM muß von Sozialdemokraten versagt werden. Auch modifizierte Genehmigungen sind kein geeigneter Weg, um die politische Haltung der SPD zur Plutoniumwirtschaft deutlich zu machen, u.a. auch deshalb, weil sie Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht erschweren.“ Fakt ist doch, daß mit der Vorgehensweise von Steger, die von der SPD jetzt mitgetragen wird, wie Krollmann ausdrücklich feststellte, der Plutoniumkreislauf nicht unterbrochen wird. Nach dem Willen einer sozialdemokratischen Landesregierung soll die Produktion bei ALKEM zehn Jahre lang weiterlaufen. Und in zehn Jahren soll Wackersdorf in Betrieb sein. Das garantiert einen nahtlosen Übergang in der MOX– Brennelementefertigung. Wie steht es denn da um die Glaubwürdigkeit der SPD? Also, um die Glaubwürdigkeit, da kümmern wir uns schon selbst in der SPD. Du vergißt, daß es der CDU–Reaktorminister ist, der die Weisung in letzter Konsequenz geben wird. Und deshalb liegt die politische Verantwortung bei den Rechten, die die Plutoniumwirtschaft weiter entfesseln wollen, und nicht bei der SPD. Deshalb bin ich dafür, daß wir uns mit dem politischen Gegner, der CDU, befassen und nicht andauernd mit uns selbst. Wenn wir diese Auseinandersetzung fortsetzen, innerhalb der SPD und zwischen Rot–Grün, dann wird sich am 5. April der in Hessen durchsetzen, der garantiert für die Plutoniumwirtschaft ist: Walter Wallmann. Dann kann ich nicht verstehen, daß die SPD dort, wo sie schon einen Hebel hat, nämlich über die Landeskompetenz bei der Aufsicht und Genehmigung von Atomanlagen, diesen Hebel unangetastet läßt, wie jetzt in Hessen. Was dabei immer etwas aus dem Auge verloren wird, ist, daß es sich hier doch um einen Streit um Symbole handelt. Mein Vorwurf an Steger ist, daß er nicht verstanden hat, daß es sich hierbei um ein ganz wichtiges Symbol für Glaubwürdigkeit handelt. Aber auch die Grünen müssen ihren Leuten sagen, welchen Handlungsspielraum eine Landesregierung denn tatsächlich hat, solange es auf Bundesebene keine anderen Mehrheiten gibt. Klaus Traube und die sieben anderen Wissenschaftler haben in dem Doppelvierer–Papier, das Bestandteil der Koalitionsvereinbarungen wurde, die offensiven Möglichkeiten der Landesregierung detailliert beschrieben. Sind das denn nun alles Phantasten? Nein. Auch Klaus Traube hat ja unseren Beschluß akzeptiert. Der Doppelvierer hat uns die Möglichkeit des Gangs nach Karlsruhe gewiesen. Und wenn wir dieses Verfahren dort verlieren, werden wir ALKEM genehmigen müssen. Wir sind doch in der Situation, daß unser Hauptaugenmerk sein muß, darauf hinzuweisen, daß Wallmann die Genehmigung der Plutoniumwirtschaft will. Wir müssen dazu beitragen, daß ihm dieses nicht gelingt. Wenn man nicht will, daß ihm das gelingt, dann muß man auch so handeln, daß man auch Aussicht auf Erfolg hat. Du wiederholst jetzt unsere Position gegen Ulrich Steger. Warum gab es keinen Antrag auf Rücktritt von Steger? Das hätte das Problem nicht gelöst. Warum zwingt die Partei ihre Landesregierung nicht, den Kummer–Brief zurückzuziehen. Die Beschlußlage der Partei ist doch angeblich eindeutig? Man kann als Partei eine Regierung nicht zwingen. Das habe ich schmerzhaft gelernt. Aber wir haben unsere Erwartung ausgedrückt: keine Genehmigung. Ich glaube, wir sind am Ende des Gesprächs angelangt. Ich bedanke mich für deine Geduld.
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