: SPD braucht etwas Zeit für die Trauerarbeit
■ Bündnisgrüne Wahlsieger in NRW bemüht, SPD nicht zu sehr zu drängen
Das war ein Schock. Dieses Wahlergebnis traf mitten ins sozialdemokratische Herz. Vom satten Selbstbewußtsein war schon nach der ersten Prognose nicht mehr viel zu spüren. Doch als dann auch noch die letzte Hoffnung auf eine knappe Einstimmen-Mandatsmehrheit zerronn, da verließen die Sozis fluchtartig die Düsseldorfer Landtagsflure, und in der Düsseldorfer Staatskanzlei verstanden die zahlreichen Besucher plötzlich die Welt nicht mehr.
Und niemand war da, die neue Lage zu interpretieren. Von der Führungsriege der Sozialdemokraten, die sich zusammen mit Ministerpräsident Johannes Rau in einer abgeschotteten Etage der Regierungszentrale zurückgezogen hatte, drang stundenlang kaum ein Wort nach draußen – was Gerüchten immer neue Nahrung gab.
Als Landesvater Rau sich dann endlich gegen 23 Uhr, von heftig applaudierenden Mitarbeitern empfangen, der Presse stellte, da spürte man die Erleichterung in den Gesichtern, da kehrte ein Stück Gelassenheit in die Staatskanzlei zurück. Raus Ankündigung, er werde jetzt „viel Zeit“ für Gespräche brauchen und „mit schnellen Nachrichten“ sei „nicht zu rechnen“, sorgte für Gewißheit – auch wenn in diesem Kreis, trotz aller Gerüchte, kaum jemand ernsthaft mit einem schnellen Abtritt gerechnet hatte. Seine Umgebung weiß: Rau pflegt einen gänzlich anderen Stil. Entscheidungen im Schnelldurchgang sind seine Sache nicht – und daran hielt er sich auch jetzt. Zeit gewinnen, sondieren und öffentlich erst reden, wenn die Antworten hinter den Kulissen fixiert sind. So ging er auch jetzt vor.
Politisch erledigt ist Rau beileibe nicht
Er wolle den „erheblichen Gesprächsbedarf“ ruhig abarbeiten, verkündete er am Sonntag abend. Und von dieser Botschaft, die ihm alle Optionen offen läßt, wich er auch am Montag morgen nach Gesprächen mit dem SPD-Fraktionsvorstand um keinen Millimeter ab. Ob er überhaupt als Ministerpräsident für eine rot-grüne Regierung zur Verfügung steht, ließ er dabei ebenso offen wie alle Fragen zur zeitlichen Abfolge. Politisch erledigt ist Rau auch nach der schweren Niederlage nicht, denn viele in der Partei stimmen seiner Analyse zu, daß eine andere Wahlkampfstrategie die SPD „unter die 46-Prozent-Marge“ gebracht hätte.
Selbst Christoph Zöpel, der stellvertretende Landesvorsitzende der SPD, der zu den linken Modernisierern der Partei zählt, sieht das so. Zöpel, einst aus dem Schattenkabinett von Rudolf Scharping im Streit ausgeschieden, hofft, daß Rau weitermacht – auch in einer Koalition mit den Bündnisgrünen: „Ich werde ihm sehr zureden.“
Mit Blick auf Bonn erwartet Zöpel von einem solchen Bündnis ein „positives Signal“, wenn Bündnisgrüne und Sozialdemokraten Nordrhein-Westfalens „vernünftig und positiv zusammenkommen“. Eine Warnung an die Bündnisgrünen schickte Zöpel zu später Stunde in der Staatskanzlei noch gleich hinterher: „Es ist undenkbar, daß eine Partei uns erpreßt.“
Schwierige Verhandlungen stehen vor allem im Bereich des Braunkohletagebaus bevor. Dieses „Wahnsinnsvorhaben“, so der Düsseldorfer Realo-Vormann Michael Vesper, wollen die Grünen zwar unbedingt verhindern. Doch auch sie sind daran interessiert, hier eine Formel zu finden, die es der SPD erlaubt, ihr Gesicht halbwegs zu wahren.
Ansonsten waren die grünen Wahlsieger gestern unisono bemüht, die SPD nur nicht zu quälen. „Volles Verständnis“ äußerte etwa die dem Linken Forum angehörende Spitzenkandidatin Bärbel Höhn dafür, „daß die SPD jetzt etwas Zeit braucht“. Sie sieht den Verhandlungen „äußerst optimistisch“ entgegen, denn „wir wollen den Erfolg“.
Die Ängste der SPD sucht sie so zu zerstreuen: „Zu 80 Prozent gibt es mit dem von Rau vorgestellten Regierungsprogramm programmatische Überschneidungen.“ Daß an den restlichen 20 Prozent das Bündnis scheitern könnte, glaubt auch Michael Vesper nicht: Die Partei stehe nach dieser Wahl „mitten in der Gesellschaft“, und „dieses uns entgegengebrachte Vertrauen werden wir nicht enttäuschen“.
Schon früh am Dienstag morgen trat die achtköpfige Verhandlungsdelegation zu ihrer ersten Sitzung zusammen. Wie im Landesverband insgesamt, geben auch hier die Linken den Ton an. Für ein berechenbares Ergebnis könnte das nützlich sein, denn wenn diese Truppe ihr Jawort gibt, dürfte sich die Partei anschließend kaum verweigern. Walter Jakobs, Düsseldorf
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