SPD UND GRÜNE HOFIEREN DEN BUND DER VERTRIEBENEN: Europäisches Zentrum ohne Europa
So mächtig wie heute war der Bund der Vertriebenen (BdV) noch nie. Jahrzehntelang scherten sich SPD und Grüne nicht um diesen unversöhnlichen Interessenverband. Jetzt macht sich Rot-Grün zur Speerspitze einer BdV-Idee, die in Polen und Tschechien Ängste schürt, und beschloss im Bundestag ein „europäisch ausgerichtetes Zentrum gegen Vertreibungen“.
Dabei wird ein solches Zentrum zur Dokumentation, Forschung und Begegnung eigentlich nicht gebraucht. Historiker in Polen und Tschechien genauso wie in der Bundesrepublik widmen sich der Vertreibung der Deutschen. Ausschließlich sein europäisches Konzept gibt dem angestrebten Zentrum einen Sinn. Und hier liegt der Fehler der Regierung: Bisher handelt es sich bei dem Zentrum um einen deutschen Alleingang, der nirgendwo in Europa unterstützt wird.
Es ist völlig offen, ob andere Länder sich für ein europäisches Zentrum gegen Vertreibungen engagieren werden. Es wäre besser gewesen, wenn die deutschen Politiker ihre Initiative in den Europarat eingebracht hätten. Dann wäre das Zentrum von Anfang an eine europäische statt eine deutsche Angelegenheit gewesen. Jetzt führt nur Berlin Regie. In Polen und Tschechien reagieren die Politiker nervös und befürchten, dass Deutschland die Vertreibungsverbrechen aufrechnet und sich mehr als Opfer denn als Täter sieht. Das Zentrum muss daher klar machen, dass die deutschen Vertriebenen nicht „vom Leid am schlimmsten betroffen gewesen sind“, wie es in der Charta des BdV von 1950 heißt. Die Regierungskoalition hätte gut daran getan, sich klar vom Bund der Vertriebenen zu distanzieren. Stattdessen arbeitet sie mit Steinbach zusammen und das, obwohl der BdV mit einem in Stein gehauenen Vorwurf an Europa die Versöhnung mit Polen und Tschechien blockieren will. Erika Steinbach steht für Revanchismus.
Die ganze Vorarbeit des Vertriebenenbundes hat in den Beziehungen von Deutschland zu Polen und Tschechien mehr zerstört als aufgebaut. Zu Recht beklagen unsere östlichen Nachbarn, dass der BdV die Vertreibung aus dem Kontext reißt und nicht berücksichtigt, dass die Deutschen zuerst die Polen aus ihrer Heimat vertrieben haben. Deshalb sollte der Verband kein Träger des Zentrums werden. Doch die Bundestagsresolution lässt nicht nur die Frage nach dem Träger und dem Standort der Einrichtung offen, sondern auch das weitere Vorgehen. Damit riskieren Sozialdemokraten und Grüne, dass aus ihrem gut gemeinten Vorschlag eines europäischen Zentrums eine Fehlgeburt wird. OLIVER HINZ
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