SPD-Politiker Stegner über Sarrazin: "Menschenverachtung nicht tolerabel"
Der Parteiausschluss Thilo Sarrazins ist richtig, sagt SPD-Präsidiumsmitglied Stegner. Dessen Buch sei voller "kruden Gebräus" und biete keine Antworten auf Integrationsfragen.
taz: Herr Stegner, kippt die Stimmung in der SPD gegen einen Ausschluss Sarrazins?
Ralf Stegner: Nein, aber formale Ausschlussverfahren haben immer wenige Anhänger. Früher war die SPD da ja rigider, daran können sich noch viele in der Partei erinnern. Wenn es dann noch mit dem Thema Meinungsfreiheit verquickt wird, wird es besonders schwer zu vermitteln. Deshalb wollen wir die Debatte aufs Thema lenken.
Dabei hilft ein Ausschlussverfahren nicht gerade.
50, ist Mitglied in Vorstand und Präsidium der SPD sowie SPD-Landes- und Fraktionsvorsitzender in Schleswig-Holstein.
Sarrazins Äußerungen berühren die Grundwerte der SPD. Da kann man nicht einfach sagen: Bei dem Thema kann man wie beim Afghanistaneinsatz unterschiedlicher Meinung sein. Es geht darum, ob wir zulassen, dass Menschen runtergemacht werden. Dass jemand vorschlägt, Gebärprämien für Akademikerinnen einzuführen. Dass man Menschen Intelligenz je nach ihrem Herkunftsland oder ihrer Religion zuweist. Über Integration muss man reden und man muss handeln, und das tun wir auch. Aber das Menschenverachtende in Sarrazins Buch ist für die SPD nicht tolerabel. Sonst verliert die Partei ihre Seele und Glaubwürdigkeit.
Hat ein Ausschluss vor Gericht Bestand? Sarrazin wird sagen, er vertrete bloß seine Meinung.
Ich kenne Sarrazin seit Jahren: Er weiß genau, was er da tut und wie seine Worte ankommen. Er verdient damit eine Menge Geld, und sein Buch lässt er nach allen Regeln der Kunst vermarkten. Trotzdem rate ich dazu, es zu lesen. Dann versteht man: Es ist teilweise halbwissenschaftlicher Unsinn, ein krudes Gebräu. Was er über Bildungspolitik schreibt, ist pädagogischer Mumpitz. Er bietet keine Antworten auf drängende Fragen, gar keine Lösungen - schon gar keine sozialdemokratischen.
Ist der Vorwurf, er schreibe "Mumpitz", gerichtsfest?
Zum Verfahren will ich mich nicht äußern. Das wird unabhängig abgewickelt, und ich akzeptiere natürlich jedes Ergebnis. Ich fände ich es am besten, Sarrazin verließe freiwillig die Partei.
Ist das wahre Problem der SPD nicht Sarrazin, sondern die Integration? In der Partei fehlen bis heute Migranten.
Wir in Schleswig-Holstein haben zum Beispiel eine junge türkische Unternehmerin bewusst und ohne Wahlkreis auf die Landesliste zur Landtagswahl gesetzt. Dafür habe ich mich eingesetzt. Fensterreden allein bringen nichts.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
BSW-Anfrage zu Renten
16 Millionen Arbeitnehmern droht Rente unter 1.200 Euro
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“