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SPD-Linker Tim Klüssendorf„Die Gespräche werden hart“

Eine Koalition mit der Union sei kein Automatismus, sagt Tim Klüssendorf. An der SPD-Spitze sieht er Veränderungsbedarf.

Links hat Vorfahrt? Kreisverkehr mit Wahlkampfüberresten Foto: Marc John/imago
Anna Lehmann
Interview von Anna Lehmann

taz: Herr Klüssendorf, Glückwunsch zum Direktmandat. Die Lü­be­cke­r:in­nen haben Sie mit Erststimme gewählt, bei den Zweitstimmen lag die CDU vorn. Was haben Sie besser gemacht als Ihre Partei?

Tim Klüssendorf: Es war sicher auch eine Personenwahl. Ich habe in Lübeck einen gewissen Heimvorteil, ich bin da geboren und aufgewachsen und habe in den letzten drei Jahren eine sehr engagierte Wahlkreisarbeit gemacht. Und tatsächlich liegt mein Ergebnis deutlich über dem Zweitstimmenergebnis der SPD. Wir haben im Wahlkampf als Partei einfach zu viele Themen liegen gelassen, die wir eigentlich hätten nach vorn stellen müssen.

taz: Welche denn?

Klüssendorf: Ein Beispiel: Das kostenlose Mittagessen an Schulen stand im Wahlprogramm, kam aber im Wahlkampf gar nicht vor. Auch beim Thema der Umverteilung ging es nur um die Einkommenssteuer und leider gar nicht um die höchsten Vermögen und Erbschaften. Wir waren insgesamt viel zu farblos. Diese Prioritätensetzung hing natürlich auch mit den handelnden Personen zusammen.

Im Interview: 

Tim Klüssendorf

geboren 1991 in Lübeck, ist seit 2021 direkt gewählter SPD-Abgeordneter im Bundestag. Er gehört zum Vorstand der Parlamenta­rischen Linken der SPD.

taz: Sie meinen Olaf Scholz?

Klüssendorf: Auch. Es hat jedenfalls nichts gebracht, sich auf einen Wettbewerb einzulassen, wer der bessere Abschieber ist.

taz: Nach dem historisch schlechten Abschneiden hat Parteichef Lars Klingbeil von einer Zäsur gesprochen und von einer programmatischen und personellen Neuaufstellung der SPD gesprochen. Und er will sich am Mittwoch zum Fraktionschef wählen lassen. Waren Sie überrascht?

Klüssendorf: Ich habe es zur Kenntnis genommen.

taz: Halten Sie das für richtig angesichts dessen, dass Klingbeil als Parteichef den Wahlkampf maßgeblich mit zu verantworten hatte und auch diese Niederlage?

Klüssendorf: Ich glaube nicht, dass es klug wäre, die Niederlage jetzt ausschließlich einzelnen Personen anzulasten. Wir sind jetzt zusammen gefordert. Klar ist aber auch: Wir müssen ernsthaft über einen personellen und inhaltlichen Neuanfang reden. Ich bin mir sehr sicher, dass es auch in der Parteispitze zu Veränderungen kommen wird. Wir brauchen eine Neuausrichtung der Partei, vor allem eine viel jüngere Ansprache. Das hat beispielsweise die Linke besser hingekriegt als wir.

taz: Saskia Esken will ebenfalls Parteivorsitzende bleiben.

Klüssendorf: Das entscheidet am Ende die Partei. Es wird einen Parteitag geben, wo Präsidium und Parteivorstand neu gewählt werden. Der ist Stand jetzt noch für Ende des Jahres geplant, aber ich halte es für notwendig, diese Entscheidungen deutlich früher zu treffen.

taz: Die SPD hat bundesweit fast 2,5 Millionen Wäh­le­r:in­nen an Union und AfD verloren und 1 Million an Linke und BSW. Muss sich die Partei jetzt linker oder konservativer aufstellen?

Klüssendorf: Die einzig gute Nachricht für uns ist hier doch, dass wir für breite Wählerschichten wählbar sind. Und das Ziel muss es sein, diese zurückzuholen. Wir sind gefordert, eigene Inhalte nach vorn zu stellen, diese selbst ernst zu nehmen und keine Entkernung des sozialdemokratischen Programms zuzulassen. Das Fundament hierfür ist unser Anspruch, linke Volkspartei zu sein.

taz: Sie sind Sprecher der Parlamentarischen Linken der Fraktion. Wie werden Sie sich künftig in den Programmprozess einbringen?

Klüssendorf: Wir werden uns da als Parlamentarische Linke aktiv und an führender Stelle einbringen.

taz: Nun gibt es erste Gespräche zwischen Union und SPD. Friedrich Merz will eine Regierung bis Ostern. Wie weit ist der Weg zur Union?

Klüssendorf: Eine Regierung mit der Union ist kein Automatismus. Mir ist bewusst, dass es die einzige demokratische Mehrheit ist, die nach der Wahl möglich ist. Dennoch: Die Gräben, die Friedrich Merz rhetorisch und inhaltlich aufgerissen hat, sind tief. Diesen Weg muss er zurückgehen, nicht wir. Die Koalitionsgespräche werden hart.

taz: Welche Punkte sollte die SPD nach vorn stellen?

Klüssendorf: Da möchte ich den Verhandlungen nicht vorgreifen. Aber die Liste wäre sehr lang. Einfach alle politischen Errungenschaften der sozialdemokratisch geführten Bundesregierung rückgängig machen zu wollen, ist jedenfalls keine Basis für Gespräche und wird mit uns auch nicht zu machen sein.

taz: Die Union will jetzt doch noch schnell das Grundgesetz ändern für ein Sondervermögen für Verteidigung. Eine gute Idee?

Klüssendorf: Darüber wird zu reden sein. Es gibt gute Argumente dafür und ebenso gute Argumente dagegen. Wichtig ist das Gespräch unter den demokratischen Fraktionen und ich freue mich, dass es Bewegung in dieser Frage gibt.

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1 Kommentar

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  • "Die SPD hat bundesweit fast 2,5 Millionen Wäh­le­r:in­nen an Union und AfD verloren"



    Warum sollten Otto und Ottilie Normalprolet auch die SPD wählen? Weil sie früher mal eine Arbeiterpartei war? Heute ist sie es nicht mehr. Unter den ersten 10 Plätzen auf der NRW-Landesliste sind 2 Nichtakademiker. Sonst stehen da: 3 x Politikwissenschaftler/-wissenschaftlerinnen, 4 Rechtswissenschaftler/-wissenschaftlerinnen und eine Diplom Verwaltungswirtin.



    Wo sind die MINT-Fächer und Handwerker und Handwerkerinnen, die wir für die Energie- und Verkehrswende brauchen? Handel, Gesundheit, Logistik? Wo die, die etwas von Verkehrsplanung verstehen? Können wirklich die Rechts- und Politikwissenschaften das alles abdecken?



    In den anderen nicht-AFD-Parteien sieht es allerdings nicht besser aus.