piwik no script img

SPD-Fraktionschef zu Martin Schulz„Neuerfindung der Sozialdemokratie“

Berlins SPD-Fraktionschef Raed Saleh ist erleichtert über die Kür von Martin Schulz. Dieser sei ein Kämpfer, der sogar Rot-Rot-Grün im Bund möglich machen könnte.

„Der Wahlkampf mit Martin Schulz wird Spaß machen“: Raed Saleh bei der Klausur der SPD-Fraktion Foto: dpa
Bert Schulz
Interview von Bert Schulz

taz: Herr Saleh, seit Dienstagabend ist klar: Martin Schulz soll statt Sigmar Gabriel als SPD-Spitzenkandidat die Bundestagswahl verlieren. Sind Sie glücklich?

Raed Saleh: Martin Schulz wird nicht verlieren. Im Gegenteil. Ich bin erleichtert, weil wir jetzt eine echte Chance haben.

Warum?

Ich kenne Martin Schulz und setze große Hoffnungen in ihn. Er hat das Talent, der SPD die Glaubwürdigkeit zurückzugeben – und ich glaube, dass das in breiten Teilen der Bevölkerung auch ankommt. Im Grunde genommen steht Schulz für eine Neuerfindung der Sozialdemokratie.

Was soll das heißen?

Schulz ist ein Tacheles-Politiker, er vertritt seine Meinung, schwimmt nicht mit dem Strom und geht Konflikten nicht aus dem Weg: Vielmehr sucht er geradezu die Konfrontation. Er versucht, für seine Werte und die der Sozialdemokratie auch in schweren Zeiten zu kämpfen.

Wofür steht Schulz inhaltlich?

Im Interview: Raed Saleh

39, geboren im Westjordanland, ist seit 2011 Vorsitzender der SPD-Fraktion. Saleh gilt als Gegenspieler von Partei- und Regierungschef Michael Müller. Jüngst geriet er in die Schlagzeilen, als er den kurz zuvor erzielten Kompromiss in der Koalition zur Sicherheitspolitik infrage stellte.

Er will zurück zu den Wurzeln der Partei und steht für ein gemeinschaftliches Europa, für ein geschlossenes Europa. Schulz genießt dafür ein großes Vertrauen in der Partei. Und nicht nur dort: Ich höre immer wieder von Menschen, dass Schulz einen ehrlichen Eindruck macht. Es ist schon mal eine gute Vo­raussetzung, dass es ein Grundvertrauen gibt in eine Person.

Ist Schulz als langjähriger EU-Parlamentarier nicht gerade ein Vertreter jener SPD, die Sie zuletzt als „Staatspartei“ scharf kritisiert haben?

Nein. Seine ganze Biografie zeigt, dass er hart kämpft für seine Positionen. Für eine Gesellschaft, die frei ist von Rassismus, von Intoleranz. Ich erlebe, dass gerade viele junge Menschen große Hoffnungen in Martin Schulz setzen. Dass sie sich von ihm vertreten fühlen.

Warum?

Sie haben Sehnsucht nach einem gemeinsamen Europa. Wir brauchen gerade in so bewegten Zeiten jemanden, der die soziale Spaltung der Gesellschaft überwinden kann, der dafür kämpft, dass die Gesellschaft nicht weiter in Arm und Reich auseinanderdriftet. Der nicht will, dass Umverteilung nur bedeutet, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden. Wir wollen Chancengleichheit für alle Menschen, die hier leben. Mit Schulz kann man eine Vision entwickeln. Ich habe das Gefühl, dass er eine echte Alternative zu Kanzlerin Merkel ist.

Ist Schulz ein Linker?

Es ist nicht relevant, ob man jemanden als rechts oder links beschreibt.

Aber Sie haben ihn doch gerade eindeutig als Linken beschrieben.

Mir geht es aber vor allem darum, dass Martin Schulz als Person sozialdemokratische Werte vertritt. Er kann hinter seiner Person ganz viele Strömungen und Personen in der SPD versammeln. Aber Sie haben recht: Als linker Sozialdemokrat würde ich seine Politik als linke Politik bezeichnen. Links ist, wenn man beides zusammendenkt: Gerechtigkeit und wirtschaftliche Vernunft.

Reaktionen in der Berliner SPD

Es ist nicht direkt ein Stoßseufzer, der bei SPD-Landespolitikern zu hören war, wenn man sie am Mittwoch zur jüngsten Führungsentscheidung ihrer Bundespartei fragte. Aber aus so mancher Respektsbekundungen gegenüber Sigmar Gabriels Verzicht auf die SPD-Kanzlerkandidatur - typisch: "zeugt von persönlicher Größe" ‑ war schon Erleichterung darüber zu hören, dass nun der als chancenreicher eingeschätzte Martin Schulz zum Zuge kommt.

Nicht jeder mochte sich mit seiner Einschätzung so namentlich äußern lassen wie der rechtspolitische Sprecher der SPD-Abgeordnetenhausfraktion, Sven Kohlmeier: "Martin Schulz hat im letzten Europawahlkampf einen sehr guten Eindruck gemacht." Kohlmeier fand es gut, dass man sich für eine Alternative entschieden habe, "die nicht mit der Bundesregierung und der großen Koalition verbandelt ist.

Die Art und Weise, wie die Sache öffentlich wurde, nämlich über ein vorab bekannt gewordenes Interview Gabriels, hatte Kohlmeier so allerdings nicht erwartet. Seine Bewertung für diesen Kommunikationsweg auch den SPD-Parteigenossen gegenüber deckte sich mit der seines Fraktionskollegen Daniel Buchholz: "Überraschend".

Dass Schulz nun Parteivorsitzender wird, ohne ein Regierungsamt oder einen Parlamentssitz zu haben, erinnert an die vierjährige Amtszeit des SPD-Landeschefs Jan Stöß. Der hatte es sich zum Ziel gesetzt, unabhängig Parteiinteressen vertreten zu können. Er drang damit aber nicht immer durch. Derlei Befürchtungen waren in Bezug auf Schulz nicht zu hören: "Der Vorsitzende der ältesten Partei Deutschlands wird sich immer Gehör verschaffen können", war sich ein Abgeordneter sicher. (sta)

Ist Schulz ein Populist?

Definitiv nicht. Man muss das in diesen Zeiten auch nicht sein. Man muss zu dem stehen, was man denkt. Man muss Haltung zeigen und bewahren. Populismus ist die falsche Antwort in diesen schwierigen Zeiten.

Kann Martin Schulz auch Rot-Rot-Grün?

Diese Frage stellt sich zurzeit nicht. Wir kämpfen erst mal für eine starke SPD.

Aber diese Frage stellt sich schon: Gibt es mit Schulz eine Alternative zur Fortsetzung der Großen Koalition im Bund?

Meine Präferenz ist ja bekannt: Wir müssen schauen, dass wir gesellschaftlichen Wandel hinbekommen. Und ich glaube, dass Schulz in der Lage ist, diesen gesellschaftlichen Wandel auch anzuführen. Aber zuerst muss die SPD bei der Bevölkerung wieder Vertrauen zurückgewinnen. Das wird ein ganz, ganz harter Gang. Auch für Schulz selbst. Aber der Wahlkampf mit ihm wird Spaß machen – denn er ist ein Wahlkämpfer.

Was kann Rot-Rot-Grün in Berlin zu einem Erfolg von Schulz beitragen?

Wir müssen unsere Arbeit machen – und zwar vernünftig. Wir müssen jetzt loslegen und abarbeiten, was wir uns vorgenommen haben. Wir müssen klarmachen, dass diese Koalition eine vernünftige Koalition ist. Weil sie die Gesellschaft der Stadt zusammenhält.

Wagen Sie eine Prognose, wo die SPD am 24. September um 18 Uhr steht?

Ich habe die große Hoffnung, dass wir mit Martin Schulz den Kanzler stellen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • „Neuerfindung der Sozialdemokratie“

     

    Stichwortartig:

     

    -Mieten,

    -Lohne,

    -Renten,

    -Arbeitsplätze,

    -Arbeitsbedingungen,

    -keine Sanktionen,

    -keine Obdachlosigkeit,

    -keine Korruption von Unternehmen, Unternehmensverbänden und Immobilienbesitzern.

  • Da kriecht aber jemand seinem zukünftigen Parteichef ganz schön in den Allerwertesten.

  • Schulz steht für schwarz-rot-grün und genau darauf wird es im Herbst hinaus laufen. Und selbst wenn Sie Recht hätten, Raed Saleh: Wie soll Schulz innerhalb dieser kurzen Zeit all das zu Recht zerstörte Vertrauen wieder gewinnen? Die SPD wird wohl Juniorpartner bleiben.

    Und welche sozialdemokratischen Werte sollen das denn genau sein, die Schulz vertritt? Die Agenda-2010-Politik? Die neoliberale EU? Die Umdeutung der Finanzkrise in eine Staatsschuldenkrise? Der Konfrontationskurs mit Russland?

    Ich habe zu all diesen Themen von Schulz nichts gehört, das sich von Gabriel, Schröder und anderen Schein-Sozis unterscheiden würde. Aber Hauptsache "weltoffen". Na denn.