SPD-FRAKTION VERSUS KANZLER: DER KONFLIKT NUTZT ALLEN : Schwächen stärken
SPD-Fraktionschef Franz Müntefering hatte gestern einen starken Auftritt. Er konnte verkünden, dass seine Abgeordneten gegen die Gemeindefinanzreform der Regierung Schröder rebellieren. Natürlich formulierte er geschmeidiger und betonte, dass der „Vorgang“ zu „entdramatisieren“ sei. Aber der „Vorgang“ ist beachtlich. Es ist bisher nicht vorgekommen, dass SPD-Abgeordnete einen Gesetzentwurf des eigenen Finanzministers komplett überarbeiten wollen.
Doch die scheinbare Stärke der SPD-Fraktion dokumentiert ihre Schwäche. Offensichtlich kann die Regierung mit dem Konflikt gut leben – deswegen gibt es ihn ja. Schon seit Monaten ist bekannt, dass die SPD-Fraktion das „Kommunalmodell“ favorisiert, das die Gewerbesteuer auch auf die Kosten für Mieten, Pachten, Zinsen und Leasingraten ausdehnen will. Bereits im Juli wurden entsprechende „Eckpunkte“ beschlossen. Die Existenz dieses Abgeordnetenpapiers hat Kanzler Schröder jedoch nicht davon abgehalten, am Urlaubsort Hannover einfach eine andere Lösung anzusteuern.
Seitdem mault Müntefering öffentlich und kündigt „Nachbesserungen“ an. Es hätte also viel Zeit für Kompromisse hinter den Kulissen gegeben, doch stattdessen eskaliert Schröder seine parteiinterne Basta-Politik. Offensichtlich hält er die SPD-Abgeordneten für bedeutungslos. Kein Wunder: Diese Sicht teilt selbst Müntefering, wie er indirekt zugab, als er gestern mehrmals auf den Bundesrat verwies. Es ist so schlicht, auf die Union kommt es an. Mit ihr verhandelt Schröder, die eigene Partei lässt er krakeelen.
Mitleid mit den SPD-Abgeordneten ist jedoch nicht angezeigt. Ihre Schwäche könnte auch Stärke sein in einem komplizierten Rollenspiel. Sie alle haben Wahlkreise zu vertreten, und nächstes Jahr stehen diverse Kommunalwahlen an. Damit die SPD vor Ort gewinnt, muss sie zeigen, dass sie in Berlin für die Bürger kämpft – da hilft Rambazamba im Bundestag gewaltig. Wer regiert, ist dabei völlig egal. Wie man gegen das eigene Lager opponiert, hat die CSU oft vorgeführt. Die SPD ist gerade dabei, dies zu lernen. ULRIKE HERRMANN