SPD-Energieexperte über AKWs: "Eon kann nur ein Regierungswechsel stoppen"
Der SPD-Energieexperte Hermann Scheer möchte beweisen, dass man in Hessen alle AKWs abschalten kann - ohne neue Kohlekraftwerke.
taz: Herr Scheer, knapp 4.000 Demonstranten in Jänschwalde und bei Hanau: ein Erfolg?
Hermann Scheer: Wenn man sich das schlechte Wetter betrachtet: Ja!
Die Veranstalter hatten mit dem Hinweis mobilisiert, dass dies die wichtigste Demo des Klimaprotestes wird. Wenn Hessens Durchschnittsfußballer von Eintracht Frankfurt antreten, kommen zehnmal mehr Menschen!
Der Vergleich hinkt! Fußballunterhaltung ist etwas anderes als politisches Engagement.
Dann vergleichen wir mit Wolfsburg: Dort gingen einen Tag vor der Klima-Demo 40.000 Menschen auf die Straße, zehnmal mehr.
Auch dieser Vergleich hinkt: Die Demonstranten in Wolfsburg sind ganz unmittelbar betroffen, es geht um ihre Arbeitsplätze.
Dann ist der Klimawandel also keine unmittelbare Bedrohung?
Sehr wohl wird das so empfunden, aber deshalb nehmen nicht alle an der Demo teil.
Eon will am Staudinger ein 1.100-Megawatt-Kohlekraftwerk bauen. Was kann Eon jetzt noch stoppen?
Ein Regierungswechsel. Die geschäftsführende Regierung von Roland Koch will das Kraftwerk um jeden Preis - gegen die Mehrheit im Parlament und gegen die Mehrheit der Bevölkerung. Die Demozahlen sind das eine. In Umfragen haben sich die Hessen zu 80 Prozent gegen Kohlekraft und für erneuerbare Energien ausgesprochen. Wenn Koch gehen muss, sind Eons Pläne obsolet.
Wann muss Koch gehen?
Die SPD hat in Hessen am 4. Oktober Parteitag, danach werden wir die Koalitionsverhandlungen beginnen. Alle drei Partner - Linke, Grüne, SPD - sind sich beim Thema einig. Ich sehe nicht, wo es in dieser Frage noch Probleme geben könnte. Zu Weihnachten ist Koch hoffentlich Geschichte.
Und Hermann Scheer dann Wirtschafts- und Umweltminister, der Eon vom Acker jagt?
Was Hermann Scheer machen wird, werden die Koalitionsverhandlungen ergeben. Fakt ist: Ich habe detailliert vorgerechnet, wie binnen fünf Jahren die Atomreaktoren in Hessen abgeschaltet werden können und gleichzeitig keine neuen Kohlekraftwerke nötig sind. Der Bedarf kann erneuerbar gedeckt werden. Natürlich würde ich gern den Beweis antreten, dass dies funktioniert.
Nehmen wir die 1.100 geplanten Megawatt am Staudinger: Wie sollten die ersetzt werden?
Eon muss eine wärmegeführte Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlage bauen. Dass würde den Wirkungsgrad des geplanten Kraftwerkes um 100 Prozent erhöhen. Weil aber nur Bedarf für 300 Megawatt Wärmeleistung in der Region ausgekoppelt werden kann, darf auch nur ein 300-Megawatt-Kraftwerk gebaut werden.
Bleiben 800 Megawatt Differenz.
Ja. 400 Megawatt davon produziert Eon, um sie an die Stadtwerke Hannover zu verkaufen. Das Rhein-Main-Gebiet ist die dichtbesiedeltste und zugleich belastetste Region Deutschlands. Nirgendwo sonst gibt es eine solche Konzentration an Industrieanlagen und Verkehrsströmen auf so kleinem Gebiet. Und dann kommt auch noch der Flughafen dazu. Wenn Hannover 400 Megawatt braucht, soll es sie selbst durch Kraft-Wärme-Kopplung herstellen.
Macht immer noch 400 Megawatt Lücke.
Hören Sie auf mit "Lücke"! Es gibt keine Stromlücke. Selbst wenn wir unterstellen, dass der Strombedarf kräftig steigt - was er wegen des Klimaschutzes nicht darf, wir brauchen mehr Effizienz! -, es gibt heutzutage intelligentere Methoden, Energie herzustellen, als mit Technologien aus dem letzten Jahrhundert! Alle diese sind dezentral.
Herr Scheer, wenn dies die wichtigste Demo zum Thema Klimaschutz des Jahres war, wieso waren Sie dann nicht dabei?
Ich habe schon mehrfach auf Demos gegen den Staudinger gesprochen. Diesmal ging es terminlich nicht, ich war im bayerischen Wahlkampf unterwegs. Das ist Wesen der Energieversorgung: Man kann Energie nur einmal verbrauchen. Auch die persönliche.
INTERVIEW: NICK REIMER
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