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SPD-Ausschluß wegen Umwelt-Engagement?

■ Bremen-Nord: Detmar Leo droht Jusos Parteiausschluß an / Darf ein SPD'ler gegen B 74 sein?

„Lieber Wulf“, beginnt ein Brief des Unterbezirksvorsitzenden der SPD Bremen-Nord, Detmar Leo, und dann kommt ein harsch formuliertes Ultimatum: Bis zum 24. Januar sollte der „Liebe Wulf“ entweder sein Blumenthaler Beirats-Mandat niederlegen oder aus der SPD austreten. Der „liebe Rüdiger“ bekam ein ähnliches vom 17.1. datiertes Schreiben. Er wurde „dringend“ gebeten, bis zum 24.1. „schriftlich“ über seine „Beweggründe“ zu informieren.

Die beiden, Rüdiger Wala und Wulf Böcker, sind SPD-Mitglieder, umweltpolitisch engagierte Jusos. Ihr Vergehen: Sie haben sich von den Grünen im Beirat Blumenthal als „sachkundige Bürger“ für Beirats-Ausschüsse aufstellen lassen.

Das Besetzen von Posten, die nach dem Wahlergebnis den Grünen zustehen, mit SPD-Genossen könnte die Partei nach ihrer Wahlniederlage freuen, ginge es nicht dabei um den erbitterten Streit um den Bau der B 74. Denn das „Umweltforum Blumenthal“, in dem beide Jusos aktiv sind, ist gegen den Weiterbau der B 74, die Honoratioren der Partei sind dafür. Der langjährige Beiratssprecher und starke Mann im Hintergrund, Heinrich Blecker (68), ist gar Geschäftsführer des Wirtschaftsrates Bremen-Nord und insofern auch beruflich den Interessen der Industrie in Bremen- Nord verpflichtet. Umweltpolitisch unbeliebt gemacht hat sich das „Umweltforum“ auch beim öffentlichen Streit um die Gill- Deponie: Bis heute schweigen alle, die wissen, was dort abgelagert wurde. Bekannt ist nur: Deponiebetreiber Gill war Mitglied der Partei im Hammersbeck...

Die beiden Jusos hatten im vergangenen Jahr auf hinteren Plätzen für ihre Partei zum Beirat kandidieren wollen. Als sie dann das SPD-Programm für Blumenthal sahen, „da konnte wir nicht mehr“, sagt Wulf Blöcker. Keine ökologische Zielsetzung, „sozialpolitisch eine einzige Enttäuschung“.

Die SPD verlor in Blumenthal wie überall in Bremen-Nord ihre absolute Mehrheit. Von den Grünen kam dann nach der Wahl die Anfrage, ob die beiden nicht als „engagierte Bürger“ wenigstens im Beirats-Ausschuß arbeiten wollten — beide wollten.

Die SPD versuchte das zu verhindern. Schon am 25.11.1991 hatte SPD-Sprecher im Beirat, Axel Schlupp, festgestellt, „daß beide Vorgeschlagenen Jungsozialisten seien und allein wegen ihrer Kandidatur für die Grünen aus der Sozialdemokratischen Partei auszuschließen seien“, so findet die parteiinterne Querele Eingang ins offizielle Beiratsprotokoll.

Drei Tage bevor eine Nachwahl am 20.1.92 stattfinden sollte, schrieb der eingeschaltete UB-Vorsitzende Leo seine Droh- Briefe. Einen Tag vor der Wahl bekam er von Leo einen Anruf, erinnert sich Wulf Bröcker: Der UB-Vorsitzende habe ihm nahegelgt, doch Mitglied der Grünen zu werden. Bröcker ist empört: Seit vier Generationen ist seine Familie in Bremen-Nord in der SPD aktiv, „von so einem Aufsteiger wie Detmar Leo läßt sich unsere Familie nicht einschüchtern.“

Auch Rüdiger Wala ließ die in dem Brief gesetzte Frist einfach verstreichen. Er hat seinen Ortsverein hinter sich, der ausdrücklich daran erinnert, daß Wala als „sachkundiger Bürger“ gewählt worden sei. Der Ortsverein Farge-Rekum ist auch gegen den Weiterbau der B 74: Erstens würde die Schnellstraße Rönnebeck und Rekum in der Mitte zerteilen, zweitens steht zu befürchten, daß langfristig gerade die unsauberen Industriebetriebe aus Vegesack nach Rekum umgesiedelt werden — zwei Gewerbegebiete am Ende der Schnellstraße sind seit 20 Jahren in den Schubladen der Stadtplaner vorgesehen.

Detmar Leo (Beruf: Lehrer) hat den Drohbrief offensichtlich eigenhändig abgefaßt — zwei Tippfehler zeugen vom eiligen Engagement. Was ihn zum Kotau vor der Bremen-Norder SPD-Oligarchie getrieben hat, versteht Rüdiger Wala auch nicht: „Wir waren richtig überrascht. Wir hatten eigentlich damit gerechnet, daß er für den Landesparteivorsitz kandidieren will.“

K.W.

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