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SO SCHNELL WERDEN DIE KATHOLIKEN IHRE ZÖLIBATSSCHÄDEN NICHT LOSMoralisch schwache Jahrgänge

Die Sexskandale in der katholische Kirche der USA, Deutschlands oder jüngst auch der Bahamas zeigen: Kindesmissbrauch in der Kirche des Papstes dürfte so international und wohl auch so alt sein wie die irdisch-überirdische Institution selbst. Dass die Hierarchie das Problem erstmals einigermaßen ernsthaft anpackt, liegt anscheinend nicht zuletzt daran, dass allein die katholische Kirche der USA mehr als eine Milliarde Dollar an Missbrauchsopfer zahlen muss.

Was aber ist der Grund dafür, dass katholische Priester auch hierzulande offenbar überproportional häufiger als Männer anderer Berufsgruppen dieser verbrecherischen Neigung verfallen? Der Vorsitzende der deutschen Bischöfe, Kardinal Karl Lehmann, lügt sich in die Tasche, wenn er hervorhebt, dass so etwas „in allen gesellschaftlichen Bereichen geschieht“ und die Ursachen keineswegs in der obligatorischen Ehelosigkeit aller katholischen Geistlichen lägen.

Dass Männer, denen das Ausleben ihrer Sexualität in einer Ehe verboten ist, eher in Versuchung geraten, wehrlose Kinder zur Triebbefriedigung zu missbrauchen, ist offensichtlich. Doch der Zölibat ist auch auf einem anderen Weg an den anhaltenden Pädophilie-Skandalen in der Kirche zumindest mit verantwortlich: Das Sexverbot schreckt so viele junge Männer davon ab, den geistlichen Beruf zu ergreifen, dass die Kirche sich aus Pfarrermangel oft dazu gezwungen sieht, zweifelhafte Priesteramtskandidaten zu akzeptieren, denen sie früher den Dienst am Altar oder die Gemeindearbeit verwehrt hätte. Zum anderen verführt der dramatische Nachwuchsmangel die hiesigen Bistümer bisher dazu, in vielen Fällen die Probleme mit pädophilen Geistlichen entweder zu lange zu verdrängen oder nur zaghaft anzugehen: Schließlich sind Pfarrer, die ihre Pfarreien wegen pädophiler Handlungen verlassen müssen, aus Personalnot kaum mehr zu ersetzen.

Der Wegfall des für alle verbindlichen Zölibats, der theologisch kein Problem ist, wird nicht schnell helfen. Selbst wenn morgen das Keuschheitsgebot fiele, würden noch über Jahrzehnte zölibatsgeschädigte Oberhirten die Kirche prägen. Schon jetzt drohen hierzulande in die obersten Ränge der Kirche Personen aufzusteigen, die früher bestenfalls zweite Wahl gewesen wären.

Ohne erzwungene Ehelosigkeit dagegen hätte die katholische Kirche – siehe die personell relativ gut ausgestattete evangelische Konkurrenz – wohl weniger mit Nachwuchsnot oder den Tragödien irregeleiteter sexueller Bedürfnisse zu tun. Nicht zuletzt deshalb wird der Zölibat eines Tages fallen. Das wird dauern. Aber es wird ein schöner Tag sein.

PHILIPP GESSLER

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