■ SHORT STORIES FROM AMERICA: Familienplanung, Bürgerkontrolle - Eine rhetorische Floskel
Als vor etwa zehn Jahren ein Minister in Reagans erstem Kabinett öffentlich eine rassistische Bemerkung über Hispano-Amerikaner gemacht hatte, entschuldigte er das als „rhetorische Floskel“. Und damit hatte sich's, Presse und Öffentlichkeit waren besänftigt (außer dem Satiriker Calvin Trilling, der sich den Burschen im Druck vornahm und dafür allgemeine Nichtbeachtung erntete). „Rhetorische Floskeln“ sind also Worte, die man sagt und auch meint, die aber nicht zählen — so in die Richtung von Bushs langjähriger Geliebten, über die jeder angehende Reporter in Washington, D.C., Bescheid weiß, aber nach allgemeiner Übereinkunft schweigt. Oder wie die Beichte bei den Katholiken. Es ist ein eigenartiger Gebrauch des Wortes „Rhetorik“ — früher einmal nannte man die Kunst der Überzeugung so: Worte, die von den Zuhörern emphatisch ernstgenommen werden sollten. Aber die neue Bedeutung von „Rhetorik“ soll mir ganz recht sein. Tatsächlich galt sie auch für mich, als ich versuchte, meinen Hausmeister zu überzeugen, er solle die Toilette reparieren. Meine Bemerkungen waren rhetorische Floskeln, und daß er die Klempnerei eine Woche schmoren ließ, war gegen die Spielregeln.
Ich scheine die Kunst der rhetorischen Floskel nicht so gut zu beherrschen wie Dan Quayle. Kurz vor dem Parteitag der Republikaner kritisierte er die amerikanische Anwaltsvereinigung und die Demokratische Partei, weil sie Anita Hill auszeichneten; er behauptete, die Demokraten ließen sich von Gruppen mit Sonderinteressen beherrschen. Das kann eigentlich nur bedeuten, daß für Quayle die Gegner sexueller Belästigung eine Gruppe mit Sonderinteressen bilden, während normale Amerikaner dafür sind. Quayles Bemerkung fiel niemandem besonders auf; es war halt eine rhetorische Floskel im Wahlkampf.
Es nagt an meiner Selbstachtung, daß ich mit rhetorischen Floskeln nicht so schön umgehen kann wie Quayle; aber mit den Bushs kann es in dieser Hinsicht kaum jemand aufnehmen. Mitte August sagte George im NBC, wenn seine Enkelin schwanger werde, solle sie allein entscheiden, ob sie eine Abtreibung wolle. Barbara erzählte vor Reportern, Abtreibung sei „Privatsache“ — und „Privatsachen gehören meiner Meinung nach nicht auf Parteitage“. Sie ging noch einen Schritt weiter und schien sogar den Zwang zur elterlichen Zustimmung zur Abtreibung zu kritisieren, als sie sagte: „Man kann einem Kind nicht einfach sagen: eine Abtreibung kommt nicht in Frage, denn das ist gegen das Gesetz.“ So schwatzten die Bushs gelassen vor sich hin, während ihre republikanische Partei ein Programm verabschiedete, in dem alle Abtreibungen verboten werden, selbst bei Vergewaltigung oder Inzest. Was sind die Äußerungen der Bushs also wert? Ralph Reed, der Geschäftsführer der Christlichen Koalition (das ist der politische Arm der Organisation des fundamentalistischen Geistlichen Pat Robertson), fand vielleicht die richtige Antwort, als er sagte: „Der Präsident wollte diesen Programmpunkt (gegen die Abtreibung), er hat ihn bekommen, und er wird daran festhalten.“ Da hat er wohl recht. Alles andere sind rhetorische Floskeln.
Bush ist für diese Sorte Floskeln berühmt. Zum Beispiel ernannte er William ArcherIII zum Leiter der Abteilung Familienplanung im Gesundheitsministerium. Archer kritisierte den Obersten Gerichtshof, weil der 1965 die Geburtenkontrolle legalisierte; noch heute ist er ein Gegner der Pille. Aber seine Abteilung heißt „Familienplanung“ — eine rhetorische Floskel. Bush ernannte William Reynolds zum Leiter der Abteilung für Bürgerrechte im Justizministerium. Reynolds ist dafür, Colleges mit rassistischen Zulassungsbestimmungen auch weiterhin Steuervorteile einzuräumen. Aber seine Abteilung befaßt sich mit „Bürgerrechten“ — eine rhetorische Floskel. Bush rief im Weißen Haus die Arbeitsgruppe für Wettbewerb ins Leben (sie wird jetzt von Quayle geleitet), die durch Erlasse Umweltgesetze und Bestimmungen aus dem Wege räumt, von denen sie glaubt, sie seien schlecht fürs Geschäft. Sie tagt unter Ausschluß der Öffentlichkeit und ist weder dem Kongreß noch den Wählern verantwortlich — zwei sehr unamerikanische Eigenheiten. Amerikaner kontrollieren ihre Regierung? Eine rhetorische Floskel.
Vor dem Golfkrieg sagte Bush, für den Krieg gegen Saddam Hussein sei er auf die Zustimmung des Kongresses nicht angewiesen; durch einfachen Befehl versammelte er am Golf tausende von Truppeneinheiten. In elfter Stunde bemühte er sich um die Zustimmung des Kongresses — eine rhetorische Floskel. Wegen seiner Haltung gegenüber dem Irak und anderen Unruheherden gilt Bush in der Außenpolitik als „stark“. Bis kurz vor dem Krieg lieferte er Hussein Waffen, und er macht weiterhin Geschäfte mit dem Irak, weil er nicht weiß, wie er sonst den Iran im Zaum halten kann — oder Syrien, dem er ebenfalls Waffen lieferte.
Bush schwatzte sich durch die Krisen in Jugoslawien und Somalia, und genauso untätig blieb er bei der Hilfe für die ehemalige Sowjetunion — obwohl dort eine rassistische und faschistische Rechte jeden Tag stärker wird, und obwohl Hilfe für die russische Industrie auch die Nachfrage nach amerikanischen Waren steigern würde. (Zum Vergleich: Ostdeutschland wird in den nächsten zehn Jahren aus Bonn über 100 Milliarden Dollar Hilfe erhalten. Rußland, mit achtmal so viel Menschen, aber nur halb so reich, bekommt von den USA einen kleinen Bruchteil dieser Summe.) Aber Bushs Außenpolitik gilt als solide — eine rhetorische Floskel.
Im Juli glaubte ich schon, er hätte sich mal wieder in rhetorischen Floskeln geübt, als er vor der Presse sagte, die Republikaner könnten die Demokraten schlagen — mit einer Politik „beschränkten Wachstums“. Aber ich fürchte, das hat er ernst gemeint.
Und verwirrend wirkte für mich schließlich auch ein Artikel der New York Times über die oben bereits erwähnte Veranstaltung der amerikanischen Anwaltsvereinigung, bei der Anita Hill und Hillary Clinton sprachen. In diesem Artikel wurde jede Frau als „Ms.“ bezeichnet — nur Hillary Clinton wurde als „Mrs.“ aufgeführt, und das hebt im Unterschied zu „Ms.“ oder „Mr.“ den Familienstatus hervor. Glaubt die Times vielleicht, Hillarys fünfundzwanzigjährige Anwaltstätigkeit sei nichts als eine rhetorische Floskel?
Aus dem Amerikanischen von Meino Büning
FAMILIENPLANUNG,BÜRGERKONTROLLE—EINERHETORISCHEFLOSKEL
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