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SENATSRESERVEN AUS SÜDAMERIKA

■ Kleiner Kulturführer durch die Internationale Tourismus-Börse

Meine erste Messe war die Grüne Woche, erinnert sich mein Begleiter, während wir durch unzählige Gänge an zahllosen Ständen vorbeischlurfen. Auch mich ergreift der Messetaumel, das schöne Gefühl, nicht allein zu sein, wie man es von Klassenfahrten, Demos, Gottesdiensten und Konzerten kennt.

Zum Frühstück wollen wir zu 800 Jahre Hamburger Hafen, das klingt nach Fischbüffet und Seeluft. Am Stand erwarten uns die einheimische Fremdenverkehrsindustrie samt Lokaljournaille und ein paar Käse-Schinken-Happen, kein Fisch. Der Herr mit Mikrophon stellt sich als „Entertainer“ vor, der uns „in den Griff kriegen“ will. Schließlich geht es darum, nach Hamburg „Menschen reinzuholen“. Vorrangig steht an die „Vermarktung der Hafenjubiläen“, obwohl es noch ein paar Probleme mit der Finanzierung gibt. Erfrischend der ungeschminkte Wirtschaftsslang, der uns als Fachpublikum ehrt. Aber „Hamburg“ hat ohnehin „nichts zu verbergen“, wie man schon an dem transparenten Messepavillon sehen kann, ein paar neugierige normale Sterbliche dürfen für 10 Mark Messe -Tageskarte über die niedlichen Absperrwände in die Pressekonferenz hineinlugen. Mit einem immernützlichen „Wünsche weiterhin erfolgreiche Arbeit in den Redaktionen“ werden wir entlassen. Ob die Reeperbahn wirklich reale Chancen hat, zum Broadway zu werden?

Ein Problem, mit dem sich der „sanfte Tourismus“ noch nicht beschäftigt. Trotzdem hetzen wir - zeitgleich ist ein Kuba -Empfang - zur Pressekonferenz. Robert Jungk wird erwartet, kommt aber nicht. Ersatzweise tritt Karl Partsch, der „Alläuindianer“, auf, ein wettergegerbter Alternativ -Trenker. Auch hier geht es um Kultur, um die „gärtnerischen Kulturmöglichkeiten der Baumschulen“, mit denen man das Waldsterben im Allgäu bekämpfen will. Schlimmster Feind der Hölzer sei das Wild, das mit seiner hohen Populationsdichte den eigenen Lebensraum vernichte. „Klar, daß da der Vergleich mit der menschlichen Bevölkerungsexplosion naheliegt“, meint Karl Partsch. Wir lernen im folgenden, daß man die „Pflanzengesellschaften“ des Allgäus retten kann: Jutematten fangen den Humus verfallener Topfpflanzen auf. Zum Vergleich mit menschlichen Gesellschaften kommt Partsch diesmal leider nicht. Dabei hat Tourismus mit Einsicht in seiner Pressemitteilung versprochen, den „sanften Tourismus“ nicht auf das „Pflanzen von Bäumchen“ zu beschränken, denn: „ein Vollkornbrötchen zum Frühstück macht noch keinen sanften Tourismus“. Das überzeugt, man denke nur an die morgendlichen Hamburger Vollkornschnitten. Man verstehe sich als Teil der Ökologiebewegung. „Über den Bauch ansprechen will die Arbeitsgemeinschaft Tourismus mit Einsicht die Leute in Zukunft und droht mit 28 Gruppen aus 11 verschiedenen Ländern. Man kenne sich selbst kaum noch untereinander, aber habe auch „Spaß, sich fallen zu lassen“. Dann treten die Gruppen auf: Die Naturfreunde -Internationale singt keine ebensolche, sondern will Ökologie mit Klassenfahrten verbinden und eine internationale Fotowanderung veranstalten. Das Saarland soll „durch die Linse sanft wahrgenommen werden“, da werden viel Hamiltonfett und Weichfilter nötig sein für all die kleinen Industriezweige und Kernkraftwerke etc. Der Geographische Arbeitskreis für Freizeit und Fremdenverkehr plant „Schülerinnen und Schüler erleben ihre Ferienumwelt“, und zwar kritisch, und die Naturfreunde der BRD streben „Sensibilität“ und ein effektives Alpenzentrum an. Auch die Dritte Welt kommt zu Wort: Ecumenal Coalition on Third World Tourism. Herr Chayant aus Bangkok beschwört die Wolkenwand über Berlin beim Anflug und die Trübsinnigkeit der deutschen Teilung. Die ITB sei so etwas wie die Berliner Mauer und deshalb, so sein flammender Aufruf, „Remove the ITB!“ Kann das im Sinne des sanften Tourismus sein, ein radikales Element, das noch dazu am eigenen Ast sägt? Schließlich sorgt eine EG-Kommission eigens dafür, daß auch die armen Länder anreisen und mitpokern können. Nachdrücklich beeindruckt fällt mir ein, daß Ostasien als Urlaubsland sowieso ziemlich abgegrast ist.

Seit das BAT-Freizeitinstitut 1988 festgestellt hat, daß sich die Bundesbürger in Wirklichkeit nichts so sehnlichst wünschen wie eine Karibikreise auf einem „Traumschiff“, mit Sascha Hehn natürlich, ist die Karibik im Sonderangebot zu haben. Auf der diesjährigen ITB ist Puerto Rico „Stern der Karibik“, ohne Sascha Hehn. Abgesehen davon gibt es noch die „touristische Reserve des 21.Jahrhunderts“ (Messe-Info): Lateinamerika. Auf Kolonialismus reimt sich so gut Tourismus, obwohl doch seit den Siebzigern bekannt sein sollte, daß Massentourismus als Entwicklungshilfe die Faust aufs Auge ist. Egal, dieser Kontinent besitzt „günstige Voraussetzungen“: „eine Vielzahl von attraktiven Landschaften und eine Reihe von historischen Sehenswürdigkeiten“, und außerdem „zahlreiche Badestrände“. In einem weiteren Messe-Info, für die Tagespresse zum Abschreiben, beschwört Dr.Karl Wolfgang Menck: „In den Entwicklungsländern ist mehr als nur der Auf- und Ausbau von Flughäfen nötig“, um auf den nächsten sechs Seiten eben diesen zu fordern und ein bißchen mehr. Schlicht ein bißchen Wirtschaftsimperialismus, um „frühzeitig den Zugang zu wichtigen Zukunftsmärkten im eigenen Interesse zu sichern“. Schön, wenn die Interessen so klar formuliert werden, mal sehen, was die andere Seite dazu sagt.

Der Kuba-Empfang ist schon vorbei, aber Bolivien hält eine winzige Pressekonferenz für sich ab und hat gleich einen Staatssekretär, Dr.Sainz Trigo, geschickt. „Wir haben gute Beziehungen zur Lufthansa.“ Aha, also auch hier Tourismus mit Einsicht. In der Presseerklärung setzt sich der Charme ehrlicher Unverschämtheit fort: Zum Zwecke eines wirtschaftlichen Aufschwungs verdienen „unter diesen Umständen unsere vielen natürlichen und kulturellen Ressourcen (...) eine größere Anerkennung“. In den „sehr gut erhaltenen Monumenten aus der Kolonialzeit“ vereine sich „europäischer Stil mit dem der Ureinwohner“ und gehe eine „attraktive und spezifische Symbiose“ ein. Darf ich also als vollgefressene Deutsche endlich meine Fernsehbildung gegen echte Inka-Kultur tauschen? Weiterhin wird die „Kombination von Landschaft, Kultur, Abenteuer und menschlicher Wärme“ (wie kann man die touristisch am besten abrufbar abspeichern?) angepriesen. Noch Fragen, noch Probleme? Staatssekretär Trigo hat für „mein Land“ schon einmal eine „Bewußtseinskampagne“ durchgeführt zum Zwecke einer „positiven Einstellung zum Tourismus“. Erschreckende Übersetzung unseres gutorwelldeutschen Wortes „PR-Kampagne“. Sieh da, die Lateinamerikaner lernen nicht nur von unseren Knästen. Nett auch die kleinen Präsente: eine Streichholzschachtel der bolivianischen Luftfahrtgesellschaft, Made in Japan, und ein „Key to South America“ nebst geeigneter Bewaffnung gegen die Ureinwohner, einem eingebauten Messerchen.

Übrigens hab‘ ich unsere eingeborene PR-Agentur nicht finden können, 1984 hat die Berlin-Werbung mit ihrem Sommernachtstraum immerhin eine „goldene Reisekutsche“ gewonnen. Kein Heller, kein Rupprecht, kein Bauernfeind, was wird bloß dieses Jahr aus der Kultur, wenn die Hotelbesitzer mit den Bettenkalkulationen nicht klar kommen? Schließlich sind schon ganz andere Gebiete mit einem schmissigen Kulturereignis erschlossen worden. Im AMK-Messebüschen sagt ein französischer Touristikexperte aus Ruanda, er sei sicher, daß mit den „Gorillas im Nebel“ jetzt endlich der Tourismus kommt. Und falls der Anschluß doch nicht klappt, gibt's ja auch noch den Afrika-Workshop der AMK, ganz alternativ und sanft. „Wer nicht auf Lösungen hinarbeitet, ist selbst ein Teil des Problems“, dröhnen mir die Worte des einsichtigen Tourismus im Ohr. Sanfte Welle? Dauerwelle! Die ist schädlich und effektiv.

Dorothee Hackenberg

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