: SED-PDS: Sorge über Parteiaustritte
■ Ein Drittel weniger Mitglieder / Parteivermögen verteidigt
Berlin (taz) - Der Parteivorstand der SED-PDS ist am Samstag unter dem Eindruck der bevorstehenden Volkskammerwahlen zusammengetreten. Die Lage der Partei ist kritisch: In den letzten Monaten hat sie mehr als 800.000 Mitglieder verloren, allein seit dem außerordentlichen Parteitag im Dezember eine Viertelmillion, und die Austrittswelle geht in abgeschwächter Form weiter. Gegenwärtig - so berichtete Wolfgang Pohl, stellvertretender Parteivorsitzender - treten zunehmend „wirtschaftsleitende Kader, Gewerkschaftsfunktionäre, Mitarbeiter staatlicher Organe und Angehörige der bewaffneten Organe“ aus.
Ihre Motive reichten von Unzufriedenheit mit der neuen Programmatik bis hin zu dem „Versuch, sich dadurch für die ausgeübte Funktion salonfähig zu machen“. Die Krise der Partei wird durch den Übergang von der Organisation in den Betrieben auf das Territorialprinzip als Grundmuster des Parteiaufbaus verschärft: Viele GenossInnen würden nach der Abmeldung in ihrer bisherigen Grundorganisation zu Karteileichen. Die Umorganisation soll deshalb gebremst werden.
Gregor Gysis Referat auf der Vorstandssitzung machte deutlich, daß sich die SED-PDS vor allem darum bemühen wird, sich als der einzige Garant für eine „DDR als souveränen deutschen Staat“ und als „sozialistische Alternative“ zu profilieren. Die Lösung der „deutschen Frage“ sah er in einem vollständig abgerüsteten „geeinten Europa vom Ural bis zum Atlantik“. Bei einer anderen, schnelleren Lösung sei zu befürchten, daß dies zu einem „Scheitern der Perestroika in anderen sozialistischen Ländern“ beitragen könne.
Zugleich warnte Gysi, bei einer „Vereinnahmung“ durch die BRD drohe den Genossenschaftsbauern die Wegnahme ihres Landes und den Werktätigen die ihrer Betriebe. DDR-Bürger schließlich, die in Häusern oder auf Grundstücken wohnen, die noch immer westlichen Eigentümern gehören, ohne daß die bisher darauf Zugriff gehabt haben, müßten um ihre Wohnung bangen.
Zur Wirtschaft nannte der SED-PDS-Vorsitzende nur einige Punkte: Übergang von der Subventionierung von Waren zu der von bedürftigen Personen; keine Währungsreform, aber Kaufkraftabschöpfung durch Betriebsaktien und Wohnungskauf. Joint-ventures sollten nur bei Mitbestimmung der Belegschaften möglich sein - auch über die Veräußerung von Unternehmensanteilen an ausländisches Kapital selbst.
Einen großen Teil seines Referates widmete Gysi der Abwehr von Forderungen oppsitioneller Gruppen - etwa des Neuen Forums - nach Enteignung des Parteivermögens. Das sei ein Versuch, die SED-PDS zu „liquidieren“, der rechtsstaatlichen Grundsätzen Hohn spreche und zu einer „Auflösung des Eigentumsbegriffs“ führe. Was die Partei unrechtmäßig nutze, werde sie aus eigenen Entschluß zurückgeben. Doch Gysi ließ keinen Zweifel daran, daß das aus seiner Sicht nicht viel sein kann. Über die unterschiedlichen materiellen Voraussetzungen der verschiedenen politischen Gruppierungen vermittelte er den Eindruck, die Nachteile der neuen würden durch die - von ihm mißbilligte - Unterstützung aus der BRD kompensiert. „Niemand“ habe jedenfalls das Recht, „über das Eigentum von etwa 1,5 Millionen Mitgliedern selbstherrlich durch Verzicht zu entscheiden“.
Walter Süß
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