S21-Gegner will Verdienstkreuz nicht mehr: Liberaler aus Protest
Vor 30 Jahren erhielt Volker Klenk das Bundesverdienstkreuz am Bande. Wegen der Polizeigewalt gegen die Stuttgart21-Proteste gibt er es nun zurück.
Als Volker Klenk sein Verdienstkreuz in einen Umschlag steckte, um es nach Berlin zu schicken, war die Erinnerung noch wach: an kreisende Schlagstöcke, an Pfefferspray und Wasserwerfer. Polizeigewalt gegen Schulkinder? Tränengas gegen Rentner? Das entsprach nicht Klenks Verständis von wehrhafter Demokratie. "Sehr geehrter Herr Bundespräsident", schrieb Klenk. "Hiermit gebe ich mein Bundesverdienstkreuz am Bande zurück."
Volker Klenk, 72, ist einer von vielen. Er will keinen neuen Bahnhof in seiner Stadt, er ist gegen Stuttgart 21. Doch Klenks Widerstand ist einmalig: Aus Protest gab er die höchste Auszeichnung des Landes zurück, per Einschreiben mit Rückschein. Nun liegt sein Verdienstkreuz in Berlin, eine Antwort bekam er bis heute nicht. "Das ist nicht schlimm", sagt Klenk. Er habe nicht erwartet, dass ihn Wulff zum Tee einlädt und umstimmt.
Klenk wettert nicht. Sein Widerstand ist nicht der eines Regierten gegen die Regierenden, eines Bürgers gegen "die da oben". Schließlich war Klenk viele Jahre selbst in der Politik. Ende der Sechziger zog es ihn in die FDP. Er war Wirtschaft- und Politikstudent in Tübingen und fasziniert von Hildegard Hamm-Brücher und Ralf Dahrendorf, seinem damaligen Professor. Als Dahrendorf Ende der Sechziger für den Stuttgarter Landtag kandidierte, leitete Klenk den Wahlkampf.
Er sollte vorerst an seiner Seite bleiben, auch in schweren Zeiten: Wenige Tage nach dem Attentat auf Rudi Dutschke reiste Dahrendorf nach Berlin. Er wollte schlichten. Klenk begleitete ihn. Acht Jahre später, 1976, wurde Klenk selbst ins Landesparlament gewählt. Sein wichtigstes politisches Anliegen waren Bürgerrechte und "die Differenz zwischen Verfassungsanspruch und Verfassungsrealität", wie er heute sagt. Lothar Späth, damals Ministerpräsident, wurde rasch auf Klenk aufmerksam: 1980 verlieh er dem Linksliberalen das Verdienstkreuz. Da saß Klenk erst seit vier Jahren im Landtag.
Das, was ihn einst an der FDP faszinierte, vermisst Klenk heute: Was ist schon Rainer Brüderle gegen Hildegard Hamm-Brücher? 1982, als die FDP im Bundestag von Schmidt zu Kohl überlief, verließ Klenk die Partei. Aus Protest.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?