■ Russland führt einen Vernichtungskrieg gegen Tschetschenien: Moskau vor dem Ziel
Zwar gibt sich Moskau alle Mühe, die Welt glauben zu machen, seine Armee bekämpfe in Tschetschenien Terroristen. Tatsächlich aber ist klar, dass Russland nur einen gut vorbereiteten Plan verwirklicht, der von den Korruptions- und Veruntreuungsskandalen des Kreml ablenken und die abtrünnige Republik endlich in die Knie zwingen soll.
Schamil Bassajew, der von einem Tschetschenien und Dagestan umfassenden islamischen Gottesstaat träumt, wird von Jelzins ehemaligem Beauftragten für Kaukasusfragen, Beresowski, für zweieinhalb Millionen Dollar überredet, in Dagestan die Wachhabisten zu unterstützen. Die haben dort vor zwei Jahren in einigen Dörfern eine islamische Verwaltung eingeführt. Die Anwesenheit des berüchtigten Bassajew und ein paar hundert Gotteskriegern ist der Anlass für den Aufmarsch der russischen Armada, die die dagestanischen Dörfer beschießt und zerbombt. Obwohl der tschetschenische Präsident Maschadow sich von den Operationen Bassajews distanziert hat, greift der Bombenkrieg auf tschetschenische Dörfer über.
Eine Reihe grausamer Bombenanschläge in Russland, die mehr als 300 Todesopfer fordern und geschickt „islamischen Terroristen“ zugeschoben werden, obwohl es keine Beweise dafür gibt, sorgt zusammen mit der entsprechenden Propaganda für eine Pogromstimmung gegen alle Tschetschenen und Kaukasier. Sie werden zu tausenden verhaftet und in überfüllten Gefängnissen gedemütigt und gequält. Die Grenzen zu Tschetschenien werden mit Stacheldraht und Minen dichtgemacht, die Straßenverbindungen zu Dagestan und Inguschetien gesprengt.
Russland hat offensichtlich im Kosovo von den USA gelernt, dass ein Luftkrieg zwar teuer, aber für die Angreifer ungefährlich ist. Die Tschetschenen, die 1947 unter Verlust eines Fünftels der Bevölkerung von Stalin deportiert worden waren, konnten 1994 bis 96 den Einmarsch russischer Bodentruppen abwehren. Den Bombardements stehen sie völlig hilflos gegenüber. Hatte der 1. Tschetschenienkrieg 100.000 Zivilisten das Leben gekostet, so steht jetzt die Existenz des gesamten tschetschenischen Volkes auf dem Spiel. Wenn die Weltöffentlichkeit und die Regierungen der Großmächte die Bombardements nicht sofort aufhalten, wird es die Tschetschenen mit ihrer dreitausendjährigen kaukasischen Kultur bald nicht mehr geben. Und Russland wird ein jahrhundertealtes Ziel erreicht haben: ein Tschetschenien ohne Tschetschenen. Ekkehard Maaß
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