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Russisch-ukrainische VerhandlungenKein Wunder in Antalya

Der russische Außenminister Sergej Lawrow hat das Treffen mit seinem ukrainischen Amtskollegen Kuleba vor allem als Show genutzt.

Mit der Ukraine verhandeln, wenn dann nur beiläufig: Russlands Außenminister Sergej Lawrow Foto: ap

Istanbul taz | Es hätte so schön sein können. Diplomatie unter Palmen am türkischen Mittelmeer, als Einstieg in einen Ausstieg aus dem Krieg in der Ukraine. Doch davon kann nach dem Treffen am Donnerstag zwischen dem ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba und seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow keine Rede mehr sein. Es kam zu keinerlei Vereinbarungen, weder über einen Waffenstillstand noch über Evakuierungskorridore für Zivilisten aus den von der russischen Armee belagerten ukrainischen Städten.

Erst recht wird es wohl in naher Zukunft kein Treffen zwischen dem russischen und dem ukrainischen Präsidenten geben, was die Ukraine dringend fordert. Präsident Putin, sagte Lawrow in einer anschließenden Pressekonferenz, sei zwar immer für Gespräche offen, aber dann müsse es auch etwas zu besprechen geben. Für reine Showveranstaltungen stünde Putin nicht zur Verfügung.

Dabei hatte just Lawrow das Treffen zu einer reinen Showveranstaltung gemacht. Die von der türkischen Regierung mit großem Einsatz und großen Hoffnungen initiierte Zusammenkunft konnte gar keine konkreten Ergebnisse haben, sagte Lawrow danach, denn dafür seien ja die Gespräche an der ukrainisch-belarussischen Grenze da, zu denen Russland keine konkurrierenden oder alternativen Gesprächsrunden wünsche. Lawrow stellte das Treffen in Antalya anschließend so dar, dass er selbst Gast auf der seit Langem vom türkischen Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu vorbereiteten Diplomatie-Konferenz war und dann am Rande des Treffens, mehr oder weniger aus Höflichkeit, eben auch mit dem ukrainischen Außenminister gesprochen habe. Konkrete Verhandlungen seien das aber nicht gewesen.

Bei der anschließenden Pressekonferenz, wo ob der zuvor geschürten Erwartungen fast die gesamte Weltpresse versammelt war, zeigte Lawrow dann, was ein seit über dreißig Jahren erfahrener PR-Profi aus der Gelegenheit machen kann. Er nutzte die Situation, um noch einmal ganz grundsätzlich Russland als Opfer westlicher Aggression darzustellen, ging auf konkrete Fragen so gut wie gar nicht ein und machte stattdessen den tatsächlichen oder vermeintlichen Fund eines Labors für biologische Waffen, in dem die Ukraine mit den USA zusammengearbeitet hätte, zum Hauptpunkt seiner Pressekonferenz. Lawrow rechtfertige dabei erneut den Einmarsch Russlands in der Ukraine und behauptete, es handele sich nicht um einen „Überfall“, sondern um eine „militärische Spezialoperation“, um die russischsprachige Bevölkerung zu schützen. Die Operation laufe nach Plan.

Einstündige Inszenierung

Nebenbei ließ Lawrow die Welt wissen, dass er an einen Atomkrieg nicht glaube und Russland nicht vorhabe, andere Länder anzugreifen. Allerdings seien die westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine ein gefährliches Spiel mit dem Feuer. Die „ungerechten“ westlichen Sanktionen und die Beschlagnahme von russischem Privateigentum seien illegal, würden aber nur dazu führen, dass Russland sich völlig unabhängig vom Westen machen werde.

Während der ukrainische Außenminister bei seiner Pressekonferenz nur zehn ­Minuten brauchte, um zu erklären, dass das Treffen ergebnislos ausging, gönnte sich Lawrow fast eine Stunde im Clinch mit ­westlichen Journalisten. Als einziges Ergebnis stand am Ende nur, dass beide Außenminister weitere Gespräche nicht ausschlossen.

Abgang nach 10 Minuten Pressekonferenz: Ukraines Außenminister Dmytro Kuleba Foto: Murad Sezer/reuters

Für die türkische Regierung war das Treffen eine einzige Enttäuschung. Präsident Erdoğan, der in Antalya so gerne einen Erfolg verkündet hätte, blieb hinter den Kulissen und widmete sich stattdessen einem Treffen mit seinem aserbaidschanischen Kollegen Ilham Alijew. Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu übte sich indessen in Zweckoptimismus. Immerhin sei ein Kontakt hergestellt worden, meinte er anschließend. Von einem ersten Treffen hätte man ja auch „keine Wunder“ erwarten können.

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2 Kommentare

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  • Gut, dass Jürgen Gottschlich über das Außenministertreffen in Antalya besonnen zu berichten und einzuordnen versteht. Ich habe einen Teil der Pressekonferenz von Lawrow am TV mitverfolgt. Es war entsetzlich. Vor dem TV-Bild des Außenministers im fortgeschrittenen Alter, entstand das Bild eines verhaltensgestört pubertierenden Jugendlichen in Worten, Gesten und Gedanken, der sich, gelangweilt lümmelnd mit einem Band oder Kabel in den Händen spielend, verächtlich gab. So schien es mir. Trotz oder gerade wegen seiner dreißigjährigen PR-Erfahrung entstand der beängstigende Gedanke, dieser Mann sei nicht mehr in der Lage, zwischen sich selbst, seiner politisch-diplomatischen Rolle und seiner Show zu unterscheiden. Eine darin entgrenzte Person, die herrisch-projizierend "die anderen" als "gestört" zurechtwies.

    Furchtbar: Die Verachtung, die Arroganz und das politisch Perfide Lawrows, die bilateralen Verhandlungen Ukraine/Russland so zu berwerten: "denn dafür seien ja die Gespräche an der ukrainisch-belarussischen Grenze da, zu denen Russland keine konkurrierenden oder alternativen Gesprächsrunden wünsche."

    Eben. Steht hinter der herrischen Arroganz des Außenministers vielleicht auch ein Stück Furcht/Sorge/Angst und also Unsicherheit, dass bei Verhandlungen "unter den Augen einer Weltöffentlichkeit" die wie auch immer angelegte "Show" Russlands ganz "auffliegen" könnte? Und dass man den Verhandlungs"partner" Ukraine in bilateralen Gesprächen besser "niederhalten" könne, weil man sich ihm doch nicht mehr so felsenfest überlegen wähnen kann wie gedacht? Und sich also vor der Weltöffentlichkeit doch irgendwie feige drückt? Dann wünscht man sich viele weitere "öffentliche" Verhandlungen" unter Vermittlung - damit das mal auffliegen könnte.

  • Lawrow lügt ja, der Stimme seines Herrn folgend, gerne, aber hat er nicht durch die Blume gesagt, was Sache ist aus Sicht der russischen Führung? Zitat: "Nebenbei ließ Lawrow die Welt wissen, dass er an einen Atomkrieg nicht glaube ... Sanktionen und die Beschlagnahme von russischem Privateigentum ... würden ... dazu führen, dass Russland sich völlig unabhängig vom Westen machen werde."

    Das ist eine Ansage: Der Ukraine droht noch immer die Eroberung und Annexion! Da die Ukraine in vieler Hinsicht wirtschaftlich bedeutend ist: Bodenschätze, Energiebrennstoffförderung, Transitland für Gas und Verkehr, Sport, Wissenschaft, Industrie und Landwirtschaft! Mit dem Anschluss der Ukraine würde die Transsib wieder mehr Bedeutung für Russland bekommen - momentan ist die berühmteste Ferneisenbahnstrecke mehr von fahrplanmäßig verkehrenden chinesischen Gütertransporten nach Europa belegt. Mit allem, was die Ukraine produziert, könnte die Bahn fortan in der Gegenrichtung das ressourcenbhungrige China beliefern. Da China mittlerweile so gut wie Alles produziert, käme auch viel Geld von Russland nach China zurück. Während China politisch auf Distanz zu Russland bleibt, bestehen gute Aussichten für engere chinesisch-russische Wirtschaftsverflechtung.