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GASTKOMMENTARRushdie und die neue Einsamkeit

■ Der Iran erneuerte den heute vor drei Jahren erlassenen Mordbefehl gegen Rushdie

Der Mordbefehl gilt noch immer. Seit drei Jahren mißbraucht der Staat Iran den Koran und befiehlt seinen Anhängern, einen britischen Bürger umzubringen. Dafür ist ein hohes Kopfgeld ausgesetzt. Der Mordbefehl gilt noch immer. Unser Zorn und unser Protest auch. Er hat geholfen, Rushdie zu schützen, er hat nicht geholfen zur Rückkehr ins Leben, wie wir es leben.

Der mörderische Fluch gegen das Buch droht in Vergessenheit zu geraten. Die Staaten verkehren weiter miteinander, Irans Wirtschaft ist vor allem für die Deutschen wichtig.

Die Bundesrepublik droht, dem Iran in die gleiche ethische Falle zu tapsen wie in den achtziger Jahren bei der Ostpolitik. Es mag rationale Gründe für eine Entspannung geben und für Wirtschaftsbeziehungen. Wenn diese Staatsvernunft aber Bürger- und Menschenrechte beiseite schiebt, mendelt sich der Trank der Vernunft in die giftige Brühe des Zynismus und des Verrats. Solange dieser Mordbefehl besteht, ist der Iran kein Staat, mit dem wir ohne Vorbehalte verkehren können.

Die Verfolgung des Schriftstellers Rushdie über die Grenzen des theokratischen Staates Iran hinaus ist Bruch des Völkerrechts und aller UNO-Konventionen, die wir Deutschen und die Iraner ratifiziert haben. Das Schweigen über Rushdie der letzten Zeit ist selbstzerstörerisch auch für uns.

Der Mordbefehl der Fundamentalisten trifft einen fundamentalen Kern unserer Kultur: die so oft bespöttelte Freiheit und Vielfalt der Meinung. Der Mordbefehl soll nach Teherans Meinung auch in Berlin, in London oder auf Sizilien gelten, wer ihn wo immer ausführt, wird belohnt.

Ja, es gibt viel mit den Iranern zu verhandeln, ja, sie tragen den Schlüssel zum Gefängnis der letzten Geiseln im Libanon; ja, sie sind ein wichtiges und mächtiges Volk in neuer geographischer Lage; ja, man sollte nicht alle Kontakte abbrechen; ja, sie können unsere Empörung über das Leiden eines einzelnen nicht verstehen, bei so viel Elend von Millionen. Ja und ja.

Aber allzu viele geistige und kulturelle Stützpfeiler im Trümmerfeld der vielen eingestürzten Altbauten haben wir wahrlich nicht. Der Artikel 5 des Grundgesetzes ist einer.

Schriftsteller schreiben jetzt Tag um Tag ihre Texte für den mutigen Freund. Sie bleiben dabei ziemlich allein. Die Glitterwelt der Medien ist derzeit so sehr mit dem Freiheitskampf gegen eine untergegangene Diktatur beschäftigt, daß wenig Platz bleibt für den Streit mit einer immer noch real existierenden. Im Dschungelkampf der Aktentäter und -Opfer ist wenig Zeit für den Streit um die Freiheit eines Buchautors.

Das Engagement der Freunde Salman Rushdies wird weithin ignoriert. Ist das schon ein neues Signal? Ist Rushdies Einsamkeit zugleich auch ein Fanal für die neue Einsamkeit der Schriftsteller, deren Beruf das Schreiben von Texten ist, und nicht das Geschrei in den Medien? Freimut Duve

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