: Ruppig und romantisch: ein Alt-48er
Friedrich Hecker, der Held der 1848er-Revolution in Deutschland, lebt nunmehr – im Jahr 1871 – als Siedler und Weinbauer in den USA. Auf seiner Farm in St. Louis, Illinois, besuchte ihn ■ Ute Scheub
Nach wie vor trägt er den „Heckerhut“ mit der Fasanenfeder, das Symbol der Revolutionäre. Stattlich, die alte Adlernase immer noch kühn, die blauen Augen immer noch energisch blitzend, wirkt Friedrich Hecker mit seinen 60 Jahren wie ein Denkmal seiner selbst. Auch 23 Jahre nach der gescheiterten Revolution von 1848 pflegt er seine romantische Erscheinung als Revoluzzer. Die habe schließlich dazu beigetragen, ihn zum „populärsten Mann in Deutschland“ zu machen, befindet sein früherer Mitstreiter Wilhelm Blos.
Mit seiner Frau Josefine, die alle Revolutionswirren mit ihm durchstand, und den meisten seiner nun erwachsenen sieben Kinder lebt Hecker jetzt ein Farmerleben auf seinem Landsitz in Illinois. Zum Weinbaukenner herangereift, scheint er heutzutage dem Kampf gegen die Reblaus den Vorzug zu geben vor dem Kampf gegen die deutsche Reaktion. „Mr. Hecker, wollen Sie denn nicht mehr in Ihre inzwischen durch Bismarck geeinte Heimat zurückkehren?“ – „Was soll ich drüben bei Euch thun?“ fragt er und schenkt dem Gast roten Wein ein. „Ich passe nicht mehr für Deutschland, ich kann keine Bücklinge machen, und bin die Luft der Freiheit gewöhnt.“ Er lächelt sarkastisch: „Ich war einmal der Mephisto der Monarchie und will es bleiben.“
„Mein Alter hat mir immer gesagt“, fährt er fort: „,Junge, wo hast Du denn nur das lose Maul her?‘ Ich wußte es wohl, woher; wer hatte mir denn immer vorerzählt von der scheußlichen politischen Wirthschaft im deutschen Bund als er selbst? Da ist mir als Knabe schon die Galle gestiegen.“
Schon der Vater und Rentamtmann Josef Hecker, dem Hecker zeit seines Lebens herzlich zugetan bleibt, zeigte die Eigenschaften, mit denen der Sohn später berühmt wird: Intelligenz, Temperament, Leidenschaft, Witz. Die Heckersche Wohnung in Eichtersheim bei Heidelberg, in der Friedrich Karl Franz Hecker am 28. September 1811 geboren wurde, war ein Treffpunkt der örtlichen Demokraten. Dort habe er genug gehört, „um in dem Kinde und Knaben schon den Fürstenhaß groß zu ziehen“. Liebevoll umsorgt von seiner Mutter Wilhelmina Hecker, sei er ein „rechter Wildfang“ gewesen, erinnert sich Farmer Hecker. Auf Wunsch des Vaters kam er mit neun Jahren in das Gymnasium nach Mannheim, dessen Geist der humanitären Aufklärung und der konfessionellen Versöhnlichkeit dem Jungen tiefen Eindruck machten. Mit 19 Jahren immatrikulierte er sich als „studiosus juris“ in Heidelberg und galt dort bald als einer der flottesten Burschen. Seit dieser Zeit führe er den Beinamen „Der Krasse“, lächelt Hecker und wünscht dem Gast ein Prosit.
Mit 27 Jahren, nach seiner Promotion, ließ er sich als Anwalt in Mannheim nieder. Mit 28 heiratete er Josefine. Mit 31 wurde er in den Mannheimer Gemeinderat und gleich darauf als Kandidat der Opposition in die II. Badische Kammer gewählt. Das Großherzogtum Baden hatte seit 1818 eine Verfassung, die eine Nuance freiheitlicher war als die der übrigen 34 Staaten des Deutschen Bundes: Neben der I. Kammer bestand eine II. Kammer aus 63 – selbstredend männlichen – Abgeordneten des Dritten Standes. Dort hielt Hecker seine Jungfernrede: „Das Volk ist nur dann wahrhaft vertreten, wenn nicht stumme Ja-Herren und Figuranten aus dem Staatstheater nach dem System und Belieben der Regierung gewählt werden.“ Solch glutvolle Sprüche lösten auf den Rängen Begeisterungsstürme aus.
Der alte Farmer kramt in seinen Papieren, um sodann mit seiner immer noch kräftigen Baritonstimme, nicht frei von Eitelkeit, einen Zeitzeugenbericht von damals vorzutragen: „Prachtvoll, männlich-gewaltig“, sei der Hecker, „von derbem Lebenshunger erfüllt, ein flotter Exzentriker, dem noch lange nach der wilden Studentenzeit jeder tolle Streich zuzutrauen war; begabt mit faszinierender Wirkung auf die Menge, voll Selbstgefühl, voll Beifallsliebe. Der geborene Führer, der geborene Held – in einer Welt gemütlicher Spießerei doppelt wirksam durch zündende Einfälle, barocke Manieren, genialische Rede; also wirklich einmal ein Kerl, der nun stürmisch und schlagfertig, frisch und advokatisch gewandt auf die Bürokratenperücken losfuhr.“
„Hündeln“ war in jener Zeit eines seiner Lieblingsworte, mit dem er, eines seiner Lieblingsthemen, den Untertanengeist der deutschen Staatsdiener und Politiker attackierte. Sein Urteil hat sich nicht geändert, seine tiefsitzende Enttäuschung über das Scheitern macht sich in bitteren Worten Luft: „Die Deutschen sind darin wie die Frösche. Steigt einer aus einem Schlammsumpf auf und setzt sich auf einen Bock, gleich springen ein Dutzend ihm in's Genick. Herunter in den Sumpf! Du sollst auch blos wie wir die Schnauze herausstrecken. Eine Gleichmacherei der armseligsten und verderblichsten Art, bei allen geknechteten oder unterdrückten Völkern vorfindlich.“
Für solche vollsaftigen Formulierungen wird er immer noch heiß verehrt, der Volksheld Hecker. In seiner Heimat kursieren die frechsten Heckerlieder, in den Bauernstuben stehen Heckerbüsten, man nennt ihn dort einen „Messias“. Daß er nicht immer loben konnte, was der ländlichen Bevölkerung Badens alles einfiel, dem damals gewiß rebellischsten Schlag aller deutschen Völker, tat dem keinen Abbruch. Schon im April 1847 hatten sich die Bauern des Odenwalds zusammengerottet, um nicht nur den Adel, sondern auch die Juden zu vertreiben. Er sei zu religiöser Toleranz erzogen worden, erinnert sich der alte Hecker an seine damalige Rede in der II. Kammer: „Wollt ihr den Schacher, Wucher und schnöden Gelderwerb nicht begünstigen, so stellt den Israeliten als gleichberechtigt neben euch.“ Doch die schrecklichen Judenpogrome im Revolutionsmärz 1848 in Neckarbischofsheim, Helmstadt und Adelsheim hat auch er nicht verhindern können.
Mister Hecker, was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie im Februar 1848 die Nachricht von der siegreichen Revolution in Frankreich, von der Vertreibung des „Bürgerkönigs“ Louis Philippe vernahmen? „Nun war es Zeit die Forderungen des Volkes aufzustellen und mit Nachdruck zu verfolgen.“ Zusammen mit seinem Freund Gustav Struve habe er sofort eine Petition an den badischen Landtag entworfen, die die bereits ein Jahr zuvor auf einer Volksversammlung in Offenburg verabschiedeten Forderungen enthielt: Wohnung, Bildung und Freiheit für alle Klassen der Gesellschaft, Volksbewaffnung, Pressefreiheit, Schwurgerichte und „sofortige Herstellung eines deutschen Parlaments“. Tausende entschlossener Bürger versammelten sich zum „Petitionssturm“ am 1. März vor dem Landtag in Karlsruhe, doch der umjubelte Abgeordnete Hecker wurde ausgetrickst und die Petition zwecks Zeitgewinn in die Ausschüsse verwiesen.
Daß die verparlamentierten Zauderer und Zögerer die Revolution zu verhindern wußten, diese Erfahrung habe er seitdem immer wieder machen müssen, grollt der alte Hecker. Deshalb habe er, ganz Außerparlamentär, für den 19. März wieder eine Volksversammlung in Offenburg einberufen. Über 20.000 Versammelte wählten ihn zum Obmann der Bewegung der „vaterländischen Volksvereine“, einer kuriosen Kreuzung zwischen deutschem Vereinswesen und Rätedemokratie. Bis zum Winter 1848/49 sei ein Netz von über 400 demokratischen Ortsgruppen mit rund 35.000 Mitgliedern gewachsen, erzählt Hecker stolz. Der badische Ministerpräsident habe zugeben müssen, daß „der Landesausschuß von Mannheim aus mit mehr Autorität im Lande regierte, als das Ministerium von Karlsruhe aus“.
Am 8. April 1848 wurde Heckers Freund, der Konstanzer Demokrat Joseph Fickler, verhaftet. Hecker rechnete damit, der nächste zu sein. Am 11. April traf er in Konstanz ein. Er wollte mit einer von Dorf zu Dorf anwachsenden Volksbewegung gen Karlsruhe und später gen Frankfurt ziehen, um die Demokratie durchzusetzen. Doch statt mit den erwarteten 40.000 bewaffneten Mitstreitern mußte er am 13. April mit einem Häuflein von 53 Mann ausrücken. Die Truppen seiner Freunde Gustav Struve und Franz Sigel mit eingerechnet, standen am Ende rund 4.000 Revolutionäre gegen 30.000 Soldaten. Am 20. April erlebte der Rebellenführer Hecker in Kandern sein Waterloo. Zwölf Männer starben, alle anderen flüchteten in die Berge, er selbst über die Schweizer Grenze.
Sie waren zu früh gekommen, Mr. Hecker, die badische Dorfbevölkerung war noch nicht reif für die Revolution. Ei was, schüttelt er den Kopf, die hätte mich am liebsten als deutschen Präsidenten gehabt! In Abwesenheit sei er zur Zahlung von 102.626 Gulden verurteilt worden, als Schadensersatz „für Kommandozulagen der Offiziere und Kriegsbeamte, Diäten und Reisekosten, Entschädigung eines getöteten Pferdes und andere für Unterdrückung des Aufstandes verursachte Kosten“. In Abwesenheit sei er von den Badensern aber auch in die Nationalversammlung gewählt worden. In der Paulskirche entflammte also der Kampf um Hecker: Amnestie für einen Hochverräter? Nein, befand die rechte Mehrheit und hob die Wahlentscheidung des Südschwarzwälder Wahlkreises Thiengen auf. Die Thiengener wählten erneut: Hecker. Die Paulskirche entschied erneut: gegen Hecker.
„Es sah düster aus, geehrte Frau, die Freiheit verhüllte ihr Haupt, und mich zog es heimwärts, nach der Heimat, wohin ich mich seit 14 Jahren sehnte, nach dem Westen Amerikas.“ Der alte Rebell entkorkt eine neue Flasche. In Straßburg sei er von Tausenden verabschiedet, in New York von 20.000 jubelnd begrüßt worden. Sie waren der berühmteste deutsche Politiker, Mr. Hecker, und jetzt wollen Sie als Bauer sterben? Er habe es ja noch einmal und noch einmal versucht, grollt er. Im April 1849 seien die versammelten Hasenherzen der Paulskirche mitsamt ihrer monarchistischen Verfassung endgültig gescheitert, als der preußische König Friedrich Wilhelm IV. die von ihnen angebotene „Schweinekrone“ ablehnte: „Die mag ein Hecker oder Struve annehmen“, habe der preußische Hundsfott ihn persönlich beleidigt, „aber kein Hohenzoller.“ Als nun erneut ein Aufstand in Baden losbrach, sei er eilends nach Europa gereist. Diesmal war nicht er zu schnell, sondern sein Schiff zu langsam: Die Revolution, die nach der Flucht des badischen Großherzogs triumphiert hatte, war wieder besiegt. „Dieses widrigwüsten Treibens, dieser verkommenen Polizeistaaten so entsetzlich müde“, kehrte er nach Amerika zurück.
Aber ganz konnten Sie es wohl doch nicht lassen, Mr. Hecker, Sie kämpften doch noch als Befehlshaber einer Brigade deutscher Turner im amerikanischen Bürgerkrieg gegen die Sklavenhalter? Aber ja, erinnert er sich, und auch seine alten Freunde Struve und Sigel waren dabei. Und zurück nach Deutschland wollen Sie wirklich nicht mehr, Sie haben doch so viele Einladungen? Nein, der alte Revolutionär schüttelt heftig den Kopf: Die tatenlose deutsche Phantasterei, die werde ihm für immer ein Greuel bleiben. Nur noch Verachtung habe er für „das leere Schwätzen und maulheldige Redenhalten mit Äquator-Hitze-Redensarten, während die Tat weit oben am Nordpol eingefroren liegt“.
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