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Rundumschlag

■ betr.: „Ein glaubenloser Jude“ von Henryk M. Broder, taz vom 16.10.93

Broder attackiert die teils reale, teils eingebildete Täterentlastung eines sehr kleinen Teils der Linken und liefert gleichzeitig durch Unterstellung arabischer Holocaustpläne selbst Entlastung für den Mainstream. [...] Jüdische Angst vor Vernichtung ist nur allzu verständlich, liefert aber in ihrer Irrationalität einerseits Israel eine Rechtfertigung für repressive Politik und andererseits Deutschen, Westeuropäern und Amerikanern eine Möglichkeit, ihre berechtigten Schuldgefühle den Arabern aufzuladen. Wenn Nasser davon sprach, die Juden ins Meer zu treiben, meinte er damit Vertreibung, vielleicht Massaker wie das von Deir Yassin. In diesem Zusammenhang von Holocaust zu reden, ist ebenso unsinnig wie im Zusammenhang mit der Vertreibung der Palästinenser oder des Libanonkrieges. Noch unsinniger ist es, ausgerechnet Sadat Vernichtungswünsche zu unterstellen. Die Verwendung der Vokabel Holocaust durch beide Seiten des Konfliktes war bis vor kurzem das wirksamste Hindernis für Dialog. Wie hätte man auch mit seinem eigenen Schlächter über Frieden verhandeln können?

Glücklicherweise wird die israelische Politik nicht von Henryk M. Broder gemacht, sondern von Menschen, die inzwischen zumindest ansatzweise begriffen zu haben scheinen, daß die Zukunft Israels nicht darin liegt, aufgrund – ich wiederhole es – verständlicher, aber irrationaler Vernichtungsängste einen Krieg nach dem anderen zu führen. Als waffenstarrende aggressive Enklave hat Israel keine Existenzberechtigung, sehr wohl aber als friedlicher kooperativer Nachbar. Ein solches Israel wäre auch ein großer Schritt in Richtung Demokratisierung des Nahen Ostens, da die autoritären Regime Syriens, Iraks und Libyens einen Großteil ihrer ohnehin sehr geringen Legitimation aus ihrem fanatischen Antiisraelismus beziehen. Martin Schwarzbach, Buchholz

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