Sanssouci: Rundumschlag
■ Wohnkultur, Folge 1: Lebenstrophäen an den Wänden u.a.
Als Alleinwohner eher in Folge schlechter Zufälle denn aus Prinzip denkt man eigentlich ständig übers Wohnen nach, denn so wie's aussieht, ist es nicht schön und das Leben ohnehin eher schlecht eingerichtet. So verstellt man alle paar Wochen die Dinge in der Wohnung, damit es schöner und angenehmer werde. Einen Tag lang fühlt man sich auch irgendwie besser. Dann denkt man wieder an neue Veränderungen. Manchmal genügt es auch, einfach nur abzuwaschen, laut Musik zu machen oder staubzusaugen. Wenn man einen Staubsauger hat.
Ins Kino geht man wie in ein Möbelhaus und schaut vor allem auf die Wohnungseinrichtungen, in der Hoffnung, Anregungen zur eigenen Wohnraumverschönerung zu bekommen. Während die Wohnungen osteuropäischer Filme meist einladend, geheimnisvoll und schön sind, wirken die Musterwohnungen in deutschen oder amerikanischen oder französischen Filmen immer irgendwie falsch. Oder sie stimmen zu sehr; d.h. die Charakterklischees der Filmhelden werden in ihren Wohnungen verdoppelt. Die Wohnungseinrichtung wird zum eindeutigen Zeichen degradiert. Drogenfreunde oder Alkoholiker haben zum Beispiel logischerweise „versiffte“ Muster-Junkie-Wohnungen (die nebenbei oft erstaunlich clean wirken); die Wohnungen der sogenannten Normalen kommen aus dem Ikea-Katalog resp. der Margarine- Reklame. Authentisch unordentliche Wohnungen armer Studenten oder kleine Hinterhauswohnungen mit Fenstern zur Nordseite und Außenklo, selbst Kachelöfen und Allesbrenner gibt es so gut wie nie. Die Alleinwohner aus dem Kino wohnen fast ausschließlich in teuer durchgestylten Yuppiewohnungen. Stilbrüche sind selten. Und so weiter. Das Leben ist mehr durcheinander – wem sagt man das.
Foto: David Reed
Im Leben schaut man aus dem Fenster auf die andere Seite der Straße und guckt, wie die anderen so leben, oder schaut dem Nachbarn zu, wie er einem selber beim Leben so zuschaut. Manche benutzen auch Ferngläser, deren Preise wegen des großen Bedarfs mittlerweile sehr heruntergegangen sind (32 Mark). Wenn man hinausguckt, wird es immer unklarer, wo sich das Leben denn nun wirklich abspielt: In der eigenen Wohnung, die gelangweilt hinter einem liegt, wenn man am Fenster steht und hinausschaut, oder in dem Zimmer auf der anderen Straßenseite, in dem sonnenbeschienen und leider etwas undeutlich zwei Leute gerade ficken. (Irgendwie ist es seltsam, daß man auch als sogen. Erwachsener kaum wegschauen kann, wenn gegenüber gefickt wird. Am offenen Fenster zu ficken ist übrigens auch nicht so schlecht und hat irgendwie etwas durchgedreht Melancholisches.)
Wenn man als Alleinwohner hinausschaut, entfremdet sich einem die eigene Wohnung und man verliert sich an die Dinge, die dort draußen geschehen. Manchmal kommen zunächst noch undeutlich Worte von unten vorbei und machen jegliches Denken oder Lesen oder Schreiben unmöglich. Dann legt man seinen Kopf auf die Dielen und hört zu, wie sich das Alkoholikerpärchen unter einem streitet. Die Sätze und Worte, mit denen sie einander bekriegen, wirken so zusammenhanglos wie die Szenen irgendwelcher TV-Filme, die einem beim Rumzappen so begegnen.
Mit der Wohnungseinrichtung entwerfen viele ein Selbstbild, das sie zeigen soll als souveräne Privatbesitzer ihrer selbst. Manche wohnen sozusagen intuitiv – wo andere ein Leben lang darüber nachdenken, wie sie sich einrichten sollen, gelingt es den intuitiven Wohnungsbewohnern wie von selbst, sich eine gemütliche Wohnung herzustellen.
Andere wohnen demonstrativ identifikatorisch; d.h. ihre Wohnung soll ihnen selbst und allen etwaigen Besuchern deutlich machen, mit wem sie es zu tun haben. An den Wänden hängen Lebenstrophäen: Selbstgemalte Bilder, Photos, die von den Stationen einer logischen Lebensgeschichte erzählen, Eltern, Kinder, Freunde, Pop- oder Filmstars. Anderen, meist männlichen Junggesellen, mißlingt jede Wohnungseinrichtung, wie sehr sie sich auch anstrengen mögen. Manche wohnen auch eher autoaggressiv nach dem Vorbild von Kotzwinkles „Fan Man“: Wenn die eine Wohnung völlig versifft ist, zieht der Romanheld in die nächste, um sie genauso wieder zu zerwohnen, dann in die nächste und so weiter.
Manche verzichten auch mehr oder weniger notgedrungen aufs Wohnen. Meine Eltern benutzten das Wohnzimmer zum Beispiel nur zu Weihnachten. Den Rest des Jahres war es tabu und verschlossen, um die Möbel zu schonen. „Jeder Mensch trägt ein Zimmer in sich“, schreibt Kafka. „Diese Tatsache kann man sogar durch das Gehör nachprüfen. Wenn einer schnell geht und man hinhorcht, etwa in der Nacht, wenn alles ringsherum still ist, so hört man zum Beispiel das Scheppern eines nicht genug befestigten Wandspiegels.“ Detlef Kuhlbrodt
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