Sanssouci: Rundumschlag
■ Wohnkultur, Folge 5: Schneller, besser, teurer! – Warenwelt
Seit kurzem residiere ich in einem neuen ergonomischen Bürodrehstuhl. Aber als mein Freund ihn zum ersten Mal sah, fragte er, wozu ich den brauche – „du hockst doch eh nur auf der Kante“. Soviel zum Erfolg meiner praktischen Bemühungen um wenigstens Sitzkultur. Rein theoretisch erging es mir da schon besser. Denn in einem Anfall von Grrrl-Kultur gründete ich zusammen mit drei Freundinnen 1989 ein Magazin für Design, Architektur, Kunst. „Morgen kommt der Bundeskanzler und will bei Ihnen übernachten. Da brauchen Sie ein sehr stabiles, amerikanisches Country-Bett ...“, so warben diejenigen, die sie (vorrätig) haben, für Wohnkultur. So unrecht haben sie nicht. Weil ich mir sicher bin, daß ich Helmut Kohl nicht beherbergen muß, geht an mir die Idee von „bewußt wohnen, gescheit wohnen, kreativ wohnen, witzig wohnen“ verloren. Sollen sich die anderen Gedanken darum machen, ob sie Jasper-Morrison-Klinken brauchen, um ihm ihre Tür zu öffnen. Ich fürchte, für schneller, besser, teurer, anders wohnen bin ich nicht die richtige Frau. Obwohl ich, gerade als Frau, prinzipiell sehr für schneller, besser, teurer wohnen bin; gegen das „traute Heim“ und für die Warenwelt. Und nichts anderes kann Wohnkultur im Zeitalter der bürgerlichen Kleinfamilie heißen. Mit Heideggers Wohnen hat sie nichts zu tun, dem Ort authentischen Daseins. Die Utopie, die im Begriff der Wohnkultur steckt, heißt mehr Schein als Sein, mehr Grazie, weniger Authentizität. Fängt nicht Kultur überhaupt mit Entfremdung an?
In meiner Vorstellung hat Wohnkultur sowieso mit Tapezierern, Dekorateuren, Innenarchitekten, Mätressen, dem 18. Jahrhundert, Öffentlichkeit statt Privatheit oder wenigstens großartigen Einladungen zu tun. Ein Münchner Freund von mir richtete einmal in seinem Zweizimmerappartment ein Galadiner für zwölf Personen aus, weil der amerikanische Verteidigungsminister zu ihm zum Abendessen kam. Caspar Weinberger tut es auch, anstatt des Bundeskanzlers.
Wahrscheinlich stürze ich mich so in die Theorie, um mein Dilemma zu verbergen: Ich will mich nicht einrichten. Wenn ich ehrlich bin, hat die Vorstellung, im Hotel zu wohnen, für mich großen Reiz; in einer neutral gestalteten, anonymen Umgebung, für die andere Leute Sorge tragen. Wohnen im emphatischen Sinne heißt für mich ein bequemes Sofa, auf dem ich die mindestens fünf Zeitschriften und zwei weitere Tageszeitungen schmökern kann, die ich abonnierte, hätte ich mehr Geld. Da würde ich in Casabella die wahnwitzigen Wohnungen studieren, die mancher Menschen Lebenstraum sind. Und was das Schmökern wirklich vergnüglich machte, wäre mein Wissen, daß ich Gott sei Dank den ganzen Krempel nicht besitzen muß. Brigitte Werneburg
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