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Rundum-Kahlschlag

■ betr.: „Die neue Form der Täter entlastung“, taz vom 24.9.93

In ihrem Rundum-Kahlschlag gegen alle Frauen und Männer, die sich in letzter Zeit für die sexuellen Rechte von Kindern eingesetzt haben, deutet Gitti Hentschel an, daß diejenigen, die sich nicht dem Diktum beugen, daß Geschlechtsverkehr etwas grundsätzlich Schädigendes für Kinder sei, wohl pädophil sein müssen.

Ich bin nicht pädophil und habe nie im Leben auch nur das geringste sexuelle Interesse an Kindern in mir verspürt. Aber meine Mitarbeiterinnen (auch keine von ihnen pädophil) und ich haben 33 Jahre lang das umfassendste bisher in Europa durchgeführte Projekt zur Erforschung der sexuellen Entwicklung normaler, nicht geschädigter Kinder durchgeführt und darüber in fünf ausführlichen Belegbänden berichtet. Wir haben mehr als 6.000 Kinder befragt und sind bei fast 1.000 Fällen von Geschlechtsverkehr zwischen ihnen und Erwachsenen (meist zwischen 13jährigen, also „Kindern“, und 14jährigen, also „Jugendlichen“) auf keinen einzigen Fall von Traumatisierung gestoßen.

Ich habe lange an Katharina Rutschkys These gezweifelt, daß die Behauptung, jedes vierte Kind werde vergewaltigt, keine Tatsachenfeststellung sei, sondern nur zu beweisen versuche, alle Erwachsenen seien konstitutionelle Vergewaltiger. Oder zumindest alle Männer. Nachdem ich mich nun aber sowohl in Frau Hentschels Beitrag wie in der September/Oktober-Nummer von Emma wegen meiner von keiner Sexualwissenschaftlerin und keinem Sexualwissenschaftler je beanstandeten wissenschaftlichen Befunde plötzlich als Kinderschänder verleumdet finde, muß ich Frau Rutschkys These wohl oder übel zustimmen.

Frau Hentschel zitiert meine Beobachtung, daß ein „launisches Püppchen von zehn Jahren einen Mann von 40 herumkommandieren kann“, als ob es etwas sei, das ich befürworte. Der Punkt meiner Beobachtung war aber die ungeheure, die tragische Abhängigkeit des Pädophilen von seiner kindlichen Geliebten. Die ganze Macht, die ganze Lebenserfahrung, die ganze Überlegenheit des Erwachsenen zerschellt in solchen Fällen an seiner Hörigkeit.

Nach meiner 33jährigen Erfahrung – es gibt keine vergleichbare bei Zartbitter oder Wildwasser – sind solche Fälle weitaus häufiger als die von Kindesvergewaltigungen. Daß ich die letzteren weder rechtfertige noch verzeihe, braucht hier wohl kaum betont zu werden. Prof. Dr. Ernest Bornemann,

Scharten/Österreich

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