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RundfunkGewinnspiele im Röhrenradio

In Afrika ist das Radio bis heute das Medium Nummer eins. Doch während im Busch vor allem der Informationsgehalt zählt, dominiert in den Metropolen der Dudelfunk.

Ein Mann, ein Radio. Bild: AP

NAIROBI taz Auf einer zersplitterten Gemüsekiste hockt der grauhaarige François vor seinem Haus, einer brüchigen Lehmhütte am Kilometer 5, dem größten Slum von Bangui, Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik. Die Sonne steht tief am Himmel, in einer halben Stunde wird es, von ein paar Kerosinlampen abgesehen, stockduster sein. "Da, ich kann was hören", ruft François aus, der seit Minuten an der Stellschraube eines alten Röhrenradios dreht. Ein lautes Pfeifen dringt aus dem zerschlissenen Lautsprecher, irgendwo dahinter ist eine verzerrte Stimme zu hören: "18 Uhr in Paris, hier sind die Nachrichten für Afrika." François lehnt sich zufrieden zurück. "Die Nachrichten höre ich seit mehr als 30 Jahren jeden Abend, sonst ist der Tag nicht komplett." Anfangs, erinnert sich François, gab es Zeiten, in denen er sein Radio im Verborgenen einstellen musste auf den Kurzwellensender aus Paris. "Nachdem sich Bokassa zum Kaiser gekrönt hatte, verlangte er von seinen Untertanen, nur zentralafrikanisches Radio zu hören, sonst nichts."

Der durchgeknallte Diktator, der sich 1977 im napoleonischen Stil krönen ließ und für seine Party mit 24.000 eingeflogenen Flaschen Champagner und 60 Mercedes-Limousinen an einem Tag den Jahresetat eines der ärmsten Länder der Welt auf den Kopf schlug, kannte keine Hemmungen. Radio Centrafrique berichtete in bester Staatsradio- Tradition nicht nur von Bokassas Exzessen, sondern auch von den neuesten Titeln, die der Diktator sich gerne verlieh - etwa "Erster Bauer und erster Unternehmer des Staates". Untermalt wurde das Ganze von "traditioneller zentralafrikanischer Marschmusik", die Bokassa in seinem Palast - "mein Versailles", wie er selbst sagte - auf Schallplatten pressen ließ. Auf dem verfallenen Gelände zeugt davon heute nur noch ein düsterer Raum, in dem sich Termiten und Spinnen eingenistet haben. "Dabei gibt es gar keine Marschmusik in unserem Land, das hat Bokassa alles erfunden", schüttelt Macaire Mbomba den Kopf. Mbomba ist Kommandeur der Truppe, die den von Blättern überwucherten Palast heute bewacht. Doch Bokassa wusste um die Kraft des Radios: Bis heute glaubt das Gros der Bevölkerung, dass Marschmusik zum kulturellen Erbe der Republik im Herzen Afrikas gehört.

Von der düsteren Vergangenheit als Propagandawelle hat sich Radio Centrafrique bis heute nicht erholt. Wahrheitsgehalt wird in Bangui einzig dem Auslandsrundfunk der ansonsten nicht sonderlich beliebten Kolonialmacht Frankreich zugesprochen. Anderswo in Afrika ist das ähnlich. "Ich bin gefeiert worden wie ein Rockstar", erinnert sich Tido Mhando, der nach mehr als 20 Jahren beim suahelisprachigen Dienst der BBC eine Abschiedstournee durch seine Heimat Tansania machte. "Wir sind in einem Bus von Dorf zu Dorf gefahren, und die Hörer haben mir Löcher in den Bauch gefragt und ständig Autogramme gewollt. Das war ein einmaliges Erlebnis!" Im englischsprachigen Afrika gilt die BBC als Instanz. Mhando wurde berühmt, als er nach dem rätselhaften Tod von Kenias Außenminister Ouko über die Hintergründe des mutmaßlichen politischen Mords berichtete. In den repressiven Jahren der Moi-Diktatur trauten sich nur wenige, den Mund so weit aufzumachen. "Bei der BBC hat die Berichterstattung eine klare Aufgabe", sagt Mhando, der zuletzt Chef der Suaheli-Programme gewesen ist. "Wenn etwa ein Krieg ausbricht, dann berichten wir auch, wer Schuld daran trägt, dass er nicht verhindert wurde." Der Erfolg gibt Mhando Recht: Mehr als 20 Millionen Hörerinnen und Hörer schalten täglich alleine die Programme in Suaheli ein.

Dagegen ist der Staatssender KBC, die Kenyan Broadcasting Corporation, ein kleines Licht. Mitten im Stadtzentrum liegt die Sendeanstalt, geschützt durch eine stacheldrahtbewehrte Mauer. Schilder wie "Kein Zutritt" und "Fotografieren verboten" halten den potenziellen Besucher auf Abstand. KBC, 1928 als Infowelle für weiße Farmer gegründet, wurde Mitte der 60er zur "Stimme Kenias" umgetauft und erlebte ähnliche Jahre wie Radio Centrafrique, wenn auch ohne größeren Wahnsinn und Marschmusik. Seit 1989 heißt die KBC wieder KBC und sucht nach ihrer Identität. "KBC ist die führende Sendeanstalt des Landes", verkündet Sprecherin Lucy Kudate stolz, und damit hat sie Recht. In weiten Teilen des dünn besiedelten Landes, außerhalb der großen Städte, ist schlicht keine andere Station zu empfangen. Dazu kommt, dass KBC als einziger Sender nicht nur in Suaheli und Englisch, sondern auch in 18 Stammessprachen sendet. Doch während diese Programme immer noch staatstragend mit Fanfare und tiefer Sprecherstimme mehr verkündet als gesendet werden, versucht der neue KBC-Chef Waithaka Waihenya, das Unternehmen fit im Kampf gegen die private Konkurrenz zu machen.

Der Reggae-Sender "Metro FM" ist das Flaggschiff der "neuen KBC" und von den gut 20 anderen kommerziellen Sendern in Nairobi kaum zu unterscheiden. Kritiker werfen dem Staatsbetrieb vor, gegen seinen Sendeauftrag zu verstoßen, indem er die wenigen Wortflächen vor allem mit Call-in-Spielen füllt. Doch im Kampf um einen Anteil an der schwindenden Zahl von Radiohörern ist KBC jedes Mittel recht. "Viele Kenianer können nicht lesen, für die war Radio jahrzehntelang das einzige Medium, das Tag und Nacht lief", erklärt der Marketingchef eines großen Privatsenders in Nairobi. "Heute hat selbst im Slum fast jeder einen Fernseher. Wer mit Radio die zahlungskräftige und für die Werbewirtschaft interessante Elite erreichen will, der muss sich schon was einfallen lassen." Bei deutschen Privatsendern würde der gleiche Vortrag kaum anders klingen.

David Makuyu verkörpert den Geist des Kommerzradios, und den heiligen Geist gleich noch dazu. Der 30-jährige Programmdirektor von "Hope FM" (Motto: Listen and live) sitzt in Maßanzug und mit Rhett-Butler-Bärtchen vor einem leeren Schreibtisch. Aus seinem Handy dröhnt das laufende Programm. "Unsere Sendungen sollen den Hörern helfen, näher zu Gott zu kommen", erklärt Makuyu, der Mitglied der größten Pfingstkirchengemeinde der Stadt ist. Aus dem Schatten der Kirche, die an Sonntagen tausende Gläubige fasst, sendet Hope FM. Doch während sich on Air eine populäre Mischung aus Gospelchören und Rhythm & Blues, Urban Gospel genannt, mit dem Sprechstakkato eifriger Prediger abwechselt, klingt der studierte Kommunikationswissenschaftler Makuyu vor allem weltlich: "Christliches Radio war vor vier Jahren, als wir angefangen haben, ein noch unerschlossener Nischenmarkt." Den hat Hope FM mit Erfolg besetzt: Jeder sechste Nairobianer schaltet den Sender heute ein, viele haben auf der Homepage des Senders Bibelverse und Tagesmotti per SMS abonniert.

Auf seine Hörer, die größtenteils der zahlungskräftigen jungen Mittelschicht angehören, ist Makuyu stolz. Dennoch gibt es ein Problem, für einen Kommerzsender sogar ein großes. "Viele Firmen wollen nicht bei uns werben, weil sie Angst haben, sich religiös festzulegen." Deswegen sendet Hope FM seit einiger Zeit offiziell auch für Nicht-Christen, selbst im überwiegend muslimischen Mombasa hat der Sender inzwischen eine Frequenz gemietet. In den Gewinnspielen sind nicht mehr nur Bibeln und religiöse Pamphlete, sondern auch Handys und Airtime zu gewinnen. Nur die Fragen sind die gleichen geblieben: Wer nicht weiß, wie der politische Berater der alttestamentarischen Königin Esther hieß, zieht schnell einmal den Kürzeren. Das News-Programm muss hingegen mit wenig Platz auskommen: Maximal 90 Sekunden hat der Sprecher, um das Neueste aus Politik und Kirche zu berichten. Echtes Privatradio also.

So sehr ist der Radiomarkt in den meisten Teilen Afrikas schon kommerzialisiert, dass die BBC in diesem Jahr erstmals die "Africa Radio Awards" auslobte, um Qualitätsjournalismus auf Afrikas Mittel- und Ultrakurzwellen zu fördern. Als beste neue Radiostation wurde dabei "Radio Pacis" ausgezeichnet, das weit entfernt von allen Werbemärkten im ugandischen Arua sendet. Arua liegt nicht weit von der Grenze zum Kongo entfernt; die meisten Hörer des Senders sind Flüchtlinge des seit mehr als zwanzig Jahren brodelnden Kriegs zwischen ugandischen Truppen und der brutalen "Widerstandsarmee des Herrn". "Radio Pacis ist ein Vorbild für das, was Stationen außerhalb der großen Städte leisten können", begründet Juror und BBC-Urgestein Robin White den Preis, der in einem neuen Studioequipment besteht. "Der Sender leistet sich Nachrichtenjournale aus der Region, Studiodiskussionen und spezielle Sendezeit für Frauen, Kinder und andere Gruppen."

Doch trotz der Ehrung geht Radio Pacis derzeit auf dem Zahnfleisch: Immer mehr Mitarbeiter ziehen nach Kampala, um dort bei einem kommerziellen Sender ihr Glück - und mehr Geld - zu machen. "Wir trainieren Nachwuchs, aber es ist hart", sagt der Manager, Sherry Meyer. Doch aufgeben will er nicht. In Gegenden wie Arua ist das Radio bis heute die einzige existierende Informationsquelle - so wie noch vor wenigen Jahrzehnten in ganz Afrika.

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1 Kommentar

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  • EK
    elmar kuhlmann

    wie schade, dass die taz anlässlich des artikels 'gewinnspiele im röhrenradio' nicht wachsam genug war, auf den eben am erscheinungstag gesendeten, feinen film 'magic radio' (arte) hinzuweisen, der zumindest im falle nigerias zu erheblich anderen urteilen hinsichtlich der privaten radiosender kommt:

     

    "(dpa/ar) Eine ganz andere Seite Nigers präsentieren die Schweizer Filmemacher Luc Peter und Stéphanie Barbey in ihrem Dokumentarfilm "Magic Radio", der heute abend um 22.40 Uhr beim TV-Sender Arte im Programm ist.

     

    Seit 1994 das Monopol des staatlichen Radiosenders fiel, wurden Dutzende neuer, privater Radiostationen gegründet. Wenn heute festgestellt wird, dass Demokratie und Meinungsfreiheit seit den 90er in Niger Fortschritte gemacht haben, so führen viele Einwohner diese Entwicklung auf die zahlreichen neuen Radiosender zurück, die den staatlichen Programmen Konkurrenz machen."

     

    war es 'nur' fehlende umsicht, oder passt hier etwas nicht in autor engelhardts ideologisches weltbild?

     

    ku.-27.07.07