■ Rund um das Schnupftuch im Pfuhler Heimatmuseum: In den linken Socken riechen
Pfuhl (taz) – Vor mehr als hundert Jahren konnte der Gebrauch eines Taschentuches tödlich sein. Unter anderem diente es als wichtiges Accessoire beim Duell. So auch am 14. Februar 1866, als sich am Stadtrand von Ulm der Leutnant Louis Freiherr von Falkenstein und der Bürgersohn Karl Wieland gegenüberstanden: Beide Kampfhähne griffen sich den Zipfel eines Taschentuchs, um dann aus nächster Nähe aufeinander zu schießen. Von der Obrigkeit untersagt, brachte das „Duell übers Schnupftuch“ dem Bürgersohn denn auch zwölf Monate Festungshaft ein.
Diese ungewöhnliche Begebenheit ist nur eine von unzähligen Geschichten, die Besucher im kleinen Heimatmuseum von Pfuhl bei Neu-Ulm erfahren und erleben können. In der Ausstellung „Von Rotznasen und Taschentüchern“ werden so manche echte Schmankerl geboten – nicht immer absolut appetitlich, aber interessant.
Zum Beispiel gab es gegen den im Herbst oder Winter ja landauf, landab grassierenden Schnupfen anno dazumal recht eindrucksvolle Hausmittel. Ein uralter Schuh in einer Vitrine illustriert eines davon: Wenn man nämlich einem anderen unbesehen in dessen Schuh schneuzte, war man von dem lästigen Übel befreit, glaubte man dereinst. Als sicheres Mittel galt auch, stillschweigend in den sieben Tage lang getragenen linken Socken zu riechen oder die Fußsohlen mit Branntwein einzureiben.
Das Taschentuch ist in diesen liebevoll gestalteten Räumen in einer Art und Weise zu erleben, wie man es wohl kaum zuvor gesehen hat. Im Kinderspiel – „Blinde Kuh“ zum Beispiel – oder als Statussymbol. Das war das feine Tüchlein nämlich nicht nur bei den Franzosen, sondern nach der Französischen Revolution auch in unseren Landen. Es galt als bäurisch, die Sache mit Daumen und Zeigefinger zu erledigen. Doch kaum ward einer der Bauersleute in den Gemeinderat gewählt, hatte er ein Taschentuch zu tragen. Riesige Ausmaße von bis zu 80 Zentimetern Seitenlänge hatte das Taschentuch in früherer Zeit, und bei all den mystischen Geschichten, die sich drumherum ranken, ist dies ja kein Wunder, sagt Barbara Hoffmann, von den „Museumsfreunden Pfuhl“. Ganz wichtig war es, um Kobolde und Wichtelmänner gnädig zu stimmen, weshalb man ihnen des nachts ein Schnupftuch parat legte. Auch an Sühnekreuzen wurden die edlen Tücher gelegentlich deponiert, damit sich der zu Tode Gekommene die Augen auswischen konnte. Totengräbern wiederum schenkte man ein Taschentuch, in das sie – rein vorbeugend – einen Knoten knüpften.
Seine Ursprünge hat das Taschentuch im 16. Jahrhundert in Italien. „Fazzoletto“ hieß das Stückchen Stoff, das Honoré de Balzac zu der Bemerkung verleitete, man könne den Charakter einer Frau danach beurteilen, wie sie ihr Taschentuch handhabe. Daß man heute noch gelegentlich jemanden, der verreist, mit dem Taschentuch winkt, ist hinlänglich bekannt. Weniger offenkundig jedoch der Ursprung dieses Brauches. Früher war es – zumindest in Bayern und Tirol – üblich, Abreisenden alte Schuhe oder Pantoffel nachzuwerfen. Das sollte Glück bringen und eine gesunde Heimkehr garantieren. „Wenn man die Pantoffel aber gerne behalten wollte, tat es auch ein Strumpfband oder ein Handschuh, später ein Taschentuch“, berichtet Barbara Hoffmann. Und irgendwann einmal begnügte man sich dann damit, lediglich mit dem Taschentuch zu winken. Text & Fotos: Klaus Wittmann
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