Ruin im Silicon Saxony: 3.000 Menschen betroffen
Der Chiphersteller Qimonda ist pleite. Im Dresdener Silicon Valley bangen Tausende um ihre Arbeitsplätze. Bis April muss der Insolvenzverwalter einen Käufer auftreiben.
Qimonda heißt das Unternehmen, das über 3.000 Menschen in Dresden gerade den Boden unter den Füßen wegzieht. Rausgeschleudert aus ihrem Alltag werden die Leute, obwohl sie doch täglich zur Arbeit gehen in ihrer Firma. Noch. Qimonda ist der größte Arbeitgeber der Stadt und pleite. Ende Januar hat die Firma, ein Tochterunternehmen von Infineon, Konkurs angemeldet. Bis Ende März läuft das Insolvenzverfahren. So lange geht auch die Produktion weiter.
Findet der Insolvenzverwalter in diesen Wochen keinen Investor, wird die Arbeitslosenzahl in Dresden um 10 Prozent steigen. Manche glauben, dass sie sich auch ums Doppelte oder Dreifache erhöhen kann, weil Zulieferindustrie und Infrastruktur an Qimonda mit dranhängen.
Qimonda produziert Arbeitsspeicherchips, kurz DRAMs. Überkapazität in diesem Marktsegment hat zum Preisverfall geführt. Der Wettlauf der Konkurrenten ist ruinös. Immer kleiner, immer leistungsfähiger, immer schneller sollen die Chips werden. Derzeit hat Qimonda einen Forschungsvorsprung vor seinen asiatischen und amerikanischen Mitbewerbern. Bei Zahlungsunfähigkeit ist der nicht mehr viel wert.
Darüber sprechen, wie es ihnen mit einem Bein halb in der Arbeitslosigkeit geht, wollen viele der Qimondianer, wie sie sich gern nennen, nicht. Fragt man die Leute, die an der Straßenbahnhaltestelle "Infineon Süd" im Dresdener Industrieviertel aussteigen, um hochzulaufen zu Qimonda, eilen sie wortlos vorbei.
Die Leute hier seien leicht zu verunsichern, sagt Willi Eisele, der IG-Metall-Bevollmächtigte in Dresden. Eisele spricht mit Mannheimer Zungenschlag. Schon im vergangenen Jahr fanden Mahnwachen vor dem Betrieb statt, denn dass Qimonda auf der Kippe steht, ist lange klar. Seit zwei Jahren versucht der Mutterkonzern Infineon, seine Tochter loszuwerden. Ein Käufer wurde nicht gefunden. Als die Qimonda-Aktie 2006 ausgegeben wurde, kostete sie 13 Dollar, heute ist sie ein paar Cent wert. Bei den Mahnwachen hätten trotzdem nur wenige Leute mitgemacht. Eisele meint, wenn ein Vorgesetzter sagt: "Ich will dich da draußen nicht sehen", dann sähe man die Leute auch nicht. Sagt aber einer: "Du kannst demonstrieren", dann verstünden sie das gleich als Aufforderung.
An diesem Dienstag wurde der IG-Metall-Mann dann aber doch überrascht. Fast 3.000 Leute von Qimonda und anderen Hightechfirmen aus der Region zogen in einem Demonstrationszug entlang den Straßenbahngleisen in die Innenstadt. Zuvor hatte auch der Insolvenzverwalter durchblicken lassen, dass Protest hilfreich sei. Mit lila Umhängetaschen, die ein hingekleckstes hellgrünes Q ziert, tauchten viele aus der Belegschaft auf. Sie bekamen sie vor der Demo von Qimonda in die Hand gedrückt. Corporate Identity noch im Niedergang. Qimonda-Mützen und -T-Shirts gab es dazu. "We are fast, creative and passionate" - wir sind schnell, kreativ und leidenschaftlich - steht darauf. Zusammen mit den roten Fahnen der Gewerkschaft und denen der linken Parteien macht das den Zug bunt.
Die Mehrzahl der Demonstranten ist jung. Manche haben ihre Kinderwagen dabei. Einige reden jetzt doch. "Ich habe Angst um Europa", sagt Stephan Wege, ein Technologieentwickler, den es aus Bremerhaven nach Dresden verschlagen hat. Hinter dem Satz verbirgt sich eine Sicht auf die Dinge, auf die man sich in Dresden geeinigt hat: Wer Qimonda schließt, lässt zu, dass es in Europa keine Speicherchipentwicklung und
-produktion mehr gibt. Damit mache man sich in einer Schlüsseltechnologie abhängig von Asien oder Amerika, gibt er zu bedenken. Und wie geht es ihm persönlich? "Ich bin extrem frustriert. Wir haben in der Vergangenheit viel zu lange geschwiegen", antwortet Wege.
Andy H. wiederum versucht mit Engelsgeduld klarzumachen, was für ein Schaden die jetzige Situation anrichtet. Denn viele Leute gingen schon weg. "Die müssen Familie versorgen, haben Häuser gebaut." Bei einer so komplexen Produktion seien Mitarbeiter nicht schnell mal eben zu ersetzen. Kommt die Produktion zum Stillstand, verunreinigen die Maschinen in kürzester Zeit und werden unbrauchbar.
Einer gelernten Siliziumkristallzüchterin, alleinerziehend, steht die Traurigkeit deutlicher im Gesicht. "Es sieht überall in der Branche schlecht aus", sagt sie. Sieben Jahre ist sie schon bei Qimonda. "Ich bin fast 40. Es gibt genug Jüngere, die bessere Chancen haben." Nicht nur sächsisch, auch englisch wird unter den Demonstrierenden gesprochen. Einer, er kommt aus Madagaskar, hält Obamas Wahlslogan hoch: "Change we can believe in." Er sei seit 16 Monaten in Dresden. "In Deutschland gibt es keine Streikkultur." Trotzdem will er in Dresden bleiben. "Eine tolle Stadt!"
An Qimonda hängt viel. Nicht nur Speicherchips. Auch die Träume von Landesvätern - Biedenkopf, Milbradt - und die Zukunftsvision einer ganzen Region. "Silicon Saxony" heißt diese Vision. Mit viel staatlicher Subvention wurden in der Region Mikroelektronikunternehmen angesiedelt. "Leuchtturmpolitik" nannten sie es stolz. Auf der Demonstration tragen einige Qimonda-Mitarbeiter gemalte Plakate, auf denen der Leuchtturm in Elbfluten untergeht.
"So weit wird es nicht kommen", beschwichtigt der Wirtschaftsbürgermeister von Dresden, Dirk Hilbert, auf einer Autofahrt übers Handy. Dies, obwohl auch Infineon, X-Fab und AMD, die andere Großunternehmen in Dresden, auf Kurzarbeit sind. Weil die Branche schon eine Weile in Schwierigkeiten sei, hätte man in Dresden frühzeitig umgedacht und auf neue Technologiefelder umgerüstet. Vor allem in Umwelttechnologien. Er zählt auf: "Photovoltaik, Abgasentsorgung, wir sind europäische Spitze in der Organik, Flexible Displays."
Viele der bereits vor der Insolvenz abgebauten Mitarbeiter seien dort untergekommen. Dass die meisten dieser Unternehmen gar nicht in Dresden sitzen, behält er für sich. Lieber sagt er den Lieblingssatz kommunaler Entscheidungsträger: "Wir sind gut aufgestellt."
Auf der Kundgebung nach der Demonstration spricht kein Stadtpolitiker. Der Betriebsratsvorsitzende von Qimonda, Martin Welzel, wiederum wird, als er sich mit hochgezogenen Schultern vors Mikrofon stellt, ausgepfiffen. Seit Jahren setzt er auf Konsens mit der Geschäftsführung. Jetzt braucht er die kampferprobteren Kollegen aus der Gewerkschaftsfraktion.
Immerhin: Sachsens Wirtschaftsminister Thomas Jurk, der sich vor den Demonstranten seiner Gewerkschaftszugehörigkeit rühmt, ist gekommen. Er bringt die alten Kampfparolen mit. Außerdem geißelt er die Politik von Infineon, das ein Rettungspaket, an dem Sachsen und Portugal sich beteiligten, ausgeschlagen hat. Kritik übt er auch an den Förderrichtlinien der Europäischen Union. Denn diese begrenzen - um innereuropäische Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden - die Höhe der staatlichen Subventionen für Unternehmen auf 30 Prozent.
Die Hightechindustrie ist eine junge Branche. Nicht viele, die da arbeiten, sind wie Andreas Steinbach über 50. Nicht viele gibt es, für die der Qimonda-Niedergang ein Déjà-vu ist. "Ich fühle mich wie vor 18 Jahren", sagt er später am Abend im Waldschlösschen, einer Kneipe.
Damals verlor der promovierte Physiker, der bereits vor der Wende im Halbleiterbereich forschte, seinen Job. "Ich bin schon mal untergegangen. Vier Jahre hat es gedauert, bis ich wieder auf die Füße kam." Vier Jahre, in denen er alle möglichen Jobs machte. Lehrer für Software etwa. "Nachts Exel gelernt und morgens unterrichtet." Nach vier Jahren fing er dann bei Siemens in Dresden an. Infineon, Qimonda, die gingen aus Siemens hervor.
Steinbach, mit dicken, lockigen Haaren, die er zum Pferdeschwanz bindet, macht Vorlaufforschung. Er ist also einer, der für Entwicklungsvorsprünge im Halbleiterbereich sorgen soll. Bei mindestens 500 Produktionsschritten, die ein Chip durchläuft, eine riesige Herausforderung. "Was ich mache, ist bei Qimonda zurzeit allerdings nicht wichtig." Dort wird gerade nur die Produktion gesichert. "Wenn aber die Arbeit, die man macht, unwichtig ist, ist man selber unwichtig", sagt er.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Wie er die US-Wahl gewann
Die Methode Trump