Ruhm dem Kabinett

■ Bremerhavener Retrospektive in der Weserburg: „Vorhut aus dem Hinterland“

Er hat aus seiner privaten Leidenschaft seit 25 Jahren ein öffentliches Ereignis gemacht, das unter Insidern in New York, Berlin oder Paris weitaus bekannter ist als in Bremerhaven: der Ausstellungsmacher im Nebenberuf und jetzige Bremerhavener Kunsthallenchef Jürgen Wesseler. Den kleinen Ladenraum des „Kabinetts für Aktuelle Kunst“, dessen vierte Wand eine Fensterfront bildet, haben seit 1967 in bisher 140 Ausstellungen deutsche und internationale Größen der modernen Kunst gestaltet. Jetzt ist ihm in der Bremer Weserburg eine Retrospektive gewidmet, eine Serie mit großen Klassikern der Avantgarde: Blinky Palermo, Wolfgang Knoebel, Reiner Ruthenbeck, Hanne Darboven, Lawrence Weiner, Sol LeWitt.

Vom „internationalen Rum des Kabinetts“ sprach zur Eröffnung Kultur-Staatsrat Gerd Schwandner, der in der geplanten Gründung des Grothe-Museums in Bremerhaven eine Bestätigung für Wesselers Arbeit sieht. Hanne Zech, Kuratorin des Weserburg- Museums, attestierte: Die Kunst des Kabinetts sei nicht gefällig oder dekorativ, sondern ziele auf Grenzüberschreitungen, auf die Differenz und den „Bruch mit den Konventionen der Wahrnehmung“. Am Wochenende kam eine halbe Hundertschaft BremerhavenerInnen zur Eröffnung dieser „Vorhut aus dem Hinterland“, nachdem das Kabinett in der städtischen Öffentlichkeit jahrzehntelang vor allem ignoriert oder bespöttelt wurde. Die Ausstellung, Objekte und Installationen, macht ein Dilemma deutlich: Die inzwischen anerkannte Avantgarde erhielt im unscheinbaren Ladenraum eine Aura, die ihr in den weitläufigen Museumsräumen fehlt. Die umgestürzten Stühle und Tische Reiner Ruthenbecks wirken wie die übriggebliebenen Devotionalien einer vergangenen Revolte. Andere Stücke, eine Postkartenserie On Kawaras, die der Künstler 1976/77 fast täglich von wechselnden Wohnorten an Jürgen Wesseler schrieb, mit der stereotypen Eintragung „I got up at“ und genaue Uhrzeit, erzählen vergangene Geschichten aus den größten Zeiten des Kabinetts, dem Palermo schon 1970 mit seinem Umriß der Fensterfront ein bleibendes Signet geschafffen hat. Ein Kabinettbesucher erinnerte sich an Wolfgang Laibs Blütenstaub von Kiefern und Löwenzahn. Was in Bremen nur im Haushaltsglas zu sehen ist, war in Bremerhaven ausgebreitet und entfaltete seinen Duft im Kabinett. Kunst ist auch für Nasen unantastbar. „Ein Begräbnis erster Klasse“, fand der Besucher. hans happel

Bis 16. August, Weserburg, Teerhof