Rugby-WM: "Keine tolle Werbung"
Rugby-Funktionär Volker Himmer will den Sport mit dem ovalen Ball in Deutschland voranbringen, leider kommen derzeit aus Frankreich, wo die Weltmeisterschaft stattfindet, die falschen Bilder.
taz: Herr Himmer, warum ist Deutschland eigentlich nicht bei der Rugby-WM dabei?
Volker Himmer: Das verlangt einen längeren Exkurs.
Machen Sie es bitte kurz!
Bei der Weltmeisterschaft spielen derzeit nur Profis. Die Spieler aus Namibia sollen zwar Amateure sein, aber das glaube ich nicht. Und Portugal, gegen das wir ja auch schon gespielt und sogar gewonnen haben, hat den kompletten Kader vor einem halben Jahr zusammengezogen, von der Arbeit freigestellt und unter professionellen Bedingungen trainiert. In Deutschland hat Rugby zwar eine lange Tradition, ist aber ein reiner Amateursport. Um sich auf Weltniveau zu bewegen, muss man jeden Tag trainieren. Erst seit ein, zwei Jahren gibt es vorsichtige Versuche der deutschen Vereine, ein bisschen professioneller zu werden.
Wie sieht das konkret aus?
Bei Frankfurt 1880 gibt es einen Sponsor, der sehr viel Geld reinsteckt. Der Verein hat eine sehr lange Tradition, zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat er sogar Deutschland bei den Olympischen Spielen vertreten, als Rugby noch olympisch war. Sie haben jetzt ausländische Spieler requiriert, Unterkunft und Verpflegung werden gezahlt, auch ein kleines Taschengeld. Das ist vielleicht vergleichbar mit der Amateur-Oberliga im Fußball. Die haben auch einen Schulsportkoordinator eingestellt, der an den Schulen Rugby unterrichtet. Innerhalb kürzester Zeit haben die 250 neue Mitglieder gewonnen. Der Verein lag lange Zeit darnieder und spielt jetzt mit jeweils einer Mannschaft in der ersten und zweiten Liga.
Könnte das Modell Schule machen in den anderen Hochburgen des Rugby, in Hannover und Heidelberg?
Es scheitert daran, dass Rugby nicht so im öffentlichen Interesse steht.
Momentan aber schon.
Das ist richtig. Jetzt gibt es gehäuft Anfragen. Am Samstag habe ich sogar ein Live-Interview im Radio gegeben. Das kommt sonst gar nicht vor. Sonst werden ja nur die üblichen Klischees vom Brutalosport transportiert, wenn überhaupt. Wir haben es nun mal schwer, weil wir ein nichtolympischer Verband sind. Der Fokus des Deutschen Olympischen Sportbundes und der Bundesregierung liegt auf den olympischen Sportarten. Für die nichtolympischen Sportarten bleiben nur Brosamen übrig.
Wie viel sind das im Rugby?
Der Deutsche Rugby-Verband hat einen Etat von 600.000 Euro im Jahr. Der Bund steuert 25.000 Euro bei. Das ist einfach lächerlich. So kommt man nicht weiter und verbleibt im Negativkreislauf.
Rugby an Schulen könnte den Sport sicherlich weiterbringen, aber glauben Sie nicht, dass nach den martialischen Bildern von der Rugby-WM Eltern Bedenken haben? Es geht doch ziemlich zur Sache.
Die Entwicklung hat mich auch überrascht. Rugby hat auf der Profiebene in den vergangenen Jahren einen totalen Wandel durchgemacht. Man sieht eine Defensivschlacht von muskulösen Athleten, die aufeinanderprallen, und das nahezu ohne Unterlass. Vorher war es so, dass das Spiel in die Breite kultiviert wurde, und man sah auch weniger blutende Köpfe. Ich persönlich würde die WM-Spiele also nicht als tolle Werbung für den Rugbysport nehmen.
Ihnen ist das Spiel zu physisch geworden?
Ja, das hat wenig mit Rugbyspielen zu tun, sondern das ist Rugbywrestling. Es geht bei dieser WM meist nur um Zentimeter, dann prallen die Spieler wieder aufeinander. Kein Spur vom offenen Spiel, das Rugby auszeichnet. Aber in der Ursprungsform ist Rugby sehr wohl ein Sport für Kinder und Jugendliche. Jeder Typus kann auf einer bestimmten Position eingesetzt werden: Der Schlaksige kann sich in die Gasse stellen, um die Bälle zu fangen. Der kleine Dicke kann im Gedränge stabil stehen, der Flitzer über außen laufen. Und dabei soll es nicht darum gehen, Kinder an den Leistungssport heranzuführen. Nein, jeder soll seine Chance im Spiel haben.
Klingt gut, aber ist es nicht dumm für Sie gelaufen: Endlich wird Rugby zur besten Sendezeit in Deutschland übertragen und dann taugen die Spieler nicht zum Vorbild?
Doch, das tun sie. Der Schiedsrichter wird respektiert, da beschwert sich keiner. Man sieht, dass eine hohe Disziplin erforderlich ist. Ohne Disziplin würde es viel schlimmere Verletzungen geben.
Wie weit ist Deutschland noch vom Topniveau der Rugbywrestler entfernt?
In der Weltrangliste belegen wir Platz 26. An der WM nehmen zwanzig Teams teil, also scheint der Abstand nicht so groß zu sein. Doch das täuscht. Wir sind Amateure, und wir haben nicht auf jeder Position einen Spieler, der 1,90 Meter groß ist und 120 Kilo wiegt. Für uns geht es darum, dass wir 2015 so weit sind. Dann wollen wir an der Weltmeisterschaft teilnehmen. Das ist alles mittel- bis langfristig angelegt.
Die Profis sind allesamt sehr massig und muskulös. Wird im Rugby gedopt?
Der deutsche Verband ist im Testprogramm der Nada (Nationale Anti-Doping-Agentur; d. Red.) und hat sich dem Wada-Code unterworfen. In Deutschland gab es noch keinen Dopingfall, außer einem positiven Cannabis-Test. Bei der WM gibt es Tests der Wada (internationale Anti-Doping-Agentur; d. Red.), trotzdem frage ich mich, ob alles mit rechten Mitteln zugeht. Ein paar Zweifel bleiben.
Ihr Tipp fürs Finale, das Südafrika und England am Samstag bestreiten?
Ich habe eigentlich auf Neuseeland gesetzt, aber da haben sich viele geirrt. Südafrika ist das bessere Team. England hat mit Jonny Wilkinson einen fantastischen Kicker, der immer gut ist, ein Spiel zu entscheiden. Es wird von der Tagesform abhängen.
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