: Rüstungs-Baisse
■ McCASH FLOWS ORAKEL
Seit mindestens 20 Jahren gehört Abrüstung zu den essentiellen Floskeln der Politik und bedeutete im besten Falle, daß das Aufrüstungstempo de facto etwas zurückgenommen wurde. Nun aber scheint es ernst zu werden, obwohl doch nach Meinung einiger Kommentatoren beim Gorbatschow/Bush-Gipfel der Sturm über Malta noch das spannendste war. Der Seismograph Börse indessen hat schon Wochen vor dem Treffen ganz eindeutig ausgeschlagen: Das 'Wall Street Journal‘ warnte die Anleger vor einem Engagement in Rüstungsaktien: In diesem sonst wahrhaft bombensicheren Marktsegment sei in nächster Zeit mit deutlich schrumpfenden Gewinnen zu rechnen. Die Warnung kam nicht von ungefähr, in den Tagen zuvor waren Rüstungspapiere wie General Dynamics und Lockheed schon um fast 20 Prozent gefallen, lockten also mit günstigen Einstandskursen, doch nach Meinung der Wall-Street-Experten noch zu früh: „Man soll nie versuchen, ein fallendes Messer aufzufangen.“ Chancen sehen die Analytiker nur bei ausgesuchten Werten wie der Aktie des Sicherheitsspezialisten „E-Systems“, der elektronische Überwachungssysteme herstellt: „Je mehr Friedensabkommen wir mit den Sowjets abschließen, desto stärker müssen wir verifizieren, ob wir auch tatsächlich den gewünschten Rüstungsabbau bekommen und ob die Sowjets nicht Panzer und Raketen in irgendeiner Höhle in den Bergen verstecken“, wird ein Anlageberater der First-Boston-Bank zitiert. Die Schnüffel-Aktie „E-Systems“ sei unter 30 Dollar ein „toller Kauf“. Den Zeiten der Aggression scheint jetzt die der Paranoia zu folgen. Aber Schnüffeln ist besser als Schießen.
Vom sich andeutenden Ende der geopolitischen Eiszeit profitierten zu Beginn der Woche alle Börsen der Welt, namentlich die bundesdeutsche, deren Deutschlandfieber nach dem Zusammenbruch der SED-Führung in den zweiten Frühling, eine DDR-Hausse, geriet: zahlreiche Standardpapiere erzielten zweistellige Kursgewinne, darunter auch Mannesmann, die als Favorit für den Ausbau des Mobilfunknetzes schon in der Vorwoche um 50 Mark zulegten. Der hoffnungsvolle Blick in die Zukunft, der den Börsianern jetzt wieder eigen ist, brachte sogar die Pleite-Aktie der coop-AG von 30 auf 35 DM voran.
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