Rüder Umgang mit Asylbewerbern

■ Beamter der Ausländerbehörde in Darmstadt–Dieburg schob Asylbewerber eigenmächtig ab / Aus Urlaub zurückgekehrter Behördenleiter räumt Fehler ein / Beamter beantragte Disziplinarverfahren gegen sich selbst

Aus Frankfurt Heide Platen

Der 31jährige türkische Gewerkschafter Ibrahim Özcan ist nur eines der Opfer der seltsamen Praktiken des Landratsamtes Darmstadt–Dieburg, die seit einer Woche die Öffentlichkeit bewegen. Özcan, dem nach achtjähriger Untergrundarbeit in der Gewerkschaft Anfang Juli die Flucht in die Bundesrepublik gelang, stellte über seine Anwältin einen Asylantrag, der auf ominöse Weise verschwand und erst wieder auftauchte, als Özcan schon ausgeliefert war. Zwei Polizisten hatten ihn am 14. Juli unter dem Vorwand, er komme in ein Aufnahmelager, aus der Wohnung geholt. Sie brachten ihn statt dessen zum Flughafen und schoben ihn ab. Mittlerweile sitzt Özcan im Militärgefängnis in Izmir. Informanten aus seiner Heimat berichten, er dürfe vorläufig keinen Besuch empfangen. Inzwischen ist bekannt, daß auch andere Antragsteller im selben Einzugsbereich rüde abgeschoben worden sind. Der 27jährige Jugoslawe M. verschwand schon im April dieses Jahres auf dem Weg zum Sammellager in Schwalbach. Er war nach Absitzen einer Kurzstrafe, während der er auch seinen Asylantrag stellte, dorthin eingewiesen worden. Eingetroffen ist er nie. Zwei Begleitbeamte berichteten, er habe es sich unterwegs überlegt und seinen Antrag zurückgezogen. Daß dieser Sinneswandel nicht ganz spontan gewesen sein kann, bezeugen Mitgefangene und Justizangestellte. Der Mann habe sich mehrfach erkundigt und sich immer wieder versichern lassen, daß er nicht ausgewiesen werden könne. Er fürchtete sich als Angehöriger der albanischen Minderheit vor einer Rückkehr nach Jugoslawien. Informanten halten es außerdem für unwahrscheinlich, daß das Flugticket für M. - wie auch im Falle Özcan - so kurzfristig hätte beschafft werden können. M. sitzt jetzt, teilten inzwischen Verwandte mit, im Gefängnis im jugoslawischen Kosowo. Ähnlich erging es einem zweiten Jugoslawen, der hier eine Freiheitsstrafe verbüßte und währenddessen einen Asylantrag stellte. Auch er war aus der Haft entlassen und von der Ausländerbehörde ab geschoben worden. Der Mann war davon auch deshalb völlig überrascht, weil er bereits an einer Arbeitsförderungsmaßnahme des Arbeitsamtes hatte teilnehmen können. Eine Genehmigung dazu erteilt die Ausländerbehörde in Darmstadt–Dieburg sonst nur, wenn sie nicht vorhat, abzuschieben. Edwin Herrmann, Mitglied des „Sozialkritischen Arbeitskreises Darmstädter Bürger“, glaubt nicht an ein Versehen, das immerhin im Fall Özcan von der Behörde inzwischen eingeräumt wurde. Er wetterte gegen „unerhörte Selbstherrlichkeit“ und Beamte, die glaubten, „aus gottgleicher Position über menschliche Schicksale bestimmen zu können“. Namen nannte Herrmann nicht. Informationen zufolge, die die taz erhielt, handelt es sich vor allem um den Beamten W., der seit langem Unmut erregt. Ihm wird nachgesagt, er habe vor den Augen eines Antragstellers einen Asylantrag zerrissen, er gebe sich Frauen gegenüber rüde und habe auch die Abschiebung der beiden Jugoslawen eigenhändig veranlaßt. Behördenleiter Klein, der gestern aus dem Urlaub zurückkehrte, teilte mit, der Beamte W. habe inzwischen ein Disziplinarverfahren gegen sich selbst beantragt, obwohl er „ein gutes Gewissen“ habe. Klein räumte ein, es sei ein „Fehler in der Zusammenarbeit der einzelnen gemacht worden“. Die Koordination habe nicht geklappt. Es werde eine Untersuchung geben. Die dafür benötigten Akten hatte Kleins Stellvertreter, der Grüne Landrat Bäurle, während Kleins Urlaub sicherstellen lassen.