■ Rückkehrer kehren zurück: Ohne Perspektive
Seit Ende des Krieges haben 246.000 von ursprünglich insgesamt 345.000 bosnischen Flüchtlinge Deutschland verlassen – das sind mehr als 71 Prozent. Die Innenminister der Bundesländer könnten also zufrieden sein, zumal angesichts der angespannten politischen und wirtschaftlichen Lage im Nachkriegs-Bosnien niemand mit einer solch positiven Bilanz gerechnet hatte.
Die 99.000 Bosnier, die heute noch als Flüchtlinge hier leben, wurden fast alle zu Beginn des Krieges aufgrund ihrer Nationalität aus dem damals serbisch besetzten Teil Bosniens vertrieben. Viele von ihnen sind nach wie vor vom Krieg traumatisiert, wie etwa vergewaltigte Frauen oder ehemalige Konzentrationslagerhäftlinge. Gemäß dem Rückkehr-Abkommen, das noch 1995, also vor dem Friedensvertrag von Dayton, zwischen der Bundesrepublik und Bosnien-Herzegowina geschlossen worden war, sollte diese Gruppe nach allen anderen in ihre alte Heimat „repatriiert“ werden.
1996 bat die bosnische Seite um eine Veränderung des bisherigen Abkommens: Es hatte sich herausgestellt, daß die Rückführung von nichtserbischen Flüchtlingen in den heute serbischen Teil des Landes nicht möglich ist.
Die Bundesrepublik aber ließ sich auf keine weiteren Diskussionen ein. Trotz der eingestandenermaßen schwierigen Lage werden mehr und mehr Muslime und Kroaten, die aus Orten in der „Republika Srpska“ stammen, abgeschoben – in die andere Hälfte Nachkriegs-Bosniens, die sogenannte muslimisch-kroatische Föderation. Dort jedoch haben die Rückkehrer oft weder eine Unterkunft noch Verwandtschafts- oder freundschaftliche Beziehungen – und ohne die geht in Bosnien nichts.
Mitarbeiter von Hilfsorganisationen in der exjugoslawischen Republik berichten, ehemalige Flüchtlinge aus Deutschland lebten meist von ihrem dort gespartem Geld, solange es eben gehe. Bei der extrem hohen Arbeitslosigkeit haben sie kaum eine Chance, einen Job zu finden – zumal viele Daheimgebliebene den „Deutschen“ vorwerfen, den Krieg gemütlich und sozial gut versorgt im Ausland verbracht zu haben, statt fürs Vaterland zu kämpfen.
30 Prozent der Menschen in der Föderation sind selbst Vertriebene aus Orten in der Serbischen Republik. Zu diesem Binnen-Flüchtlingsproblem kommt, daß sich mittlerweile rund 10.000 albanische Flüchtlinge aus dem Kosovo in Bosnien aufhalten.
Wen wundert, daß angesichts dieser Lage viele Ex-Flüchtlinge nach einiger Zeit den Weg zurück ins ehemalige Gastland wagen? In machen Berliner Beratungsstellen melden sich zur Zeit zwei Rück-Rückkehrer- Familien wöchentlich, in anderen bis zu 10 Personen täglich. Viele von ihnen gehen ins Asylverfahren. Da sie jedoch keine Chance haben, als politische Flüchtlinge anerkannt zu werden, versuchen sie oft parallel, Visa für andere Länder wie Amerika oder Australien zu kriegen – oder bleiben gleich illegal in der Bundesrepublik. rr
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