Rudolf Thome über die Liebe: "Ich darf glücklich sein wollen"

Rudolf Thome ist der große Unbekannte unter den deutschen Regisseuren. Im Gespräch redet er über Liebe, Glück und die Ironie in seinen Filmen.

"Was ich dem Publikum zumute, ist immer ein bisschen zu viel": der Berliner Regisseur dreht fast jedes Jahr einen neuen Film. Bild: imago

Ein Hinterhof in Berlin-Kreuzberg. Der Geruch von Kohleöfen hängt in der Luft. Auf einem schlichten weißen Klingelschild steht Thome/Moana. Der Regisseur und seine Firma. Rudolf Thome öffnet die Tür im Erdgeschoss. Seine Augen sind gerötet, seine Stimme ist heiser. "Ich weiß, ich sehe furchtbar aus."

taz: Herr Thome, was ist passiert?

Rudolf Thome: Ich konnte heute Nacht nicht schlafen und habe eine Stimmbandlähmung, aber ich kann reden.

Das ist gut, ich möchte nämlich mit Ihnen über die Liebe reden.

Mit mir? Ich bin doch kein Liebesexperte.

Sie drehen aber seit über vierzig Jahren Filme über die Beziehungen zwischen Männern und Frauen.

Aber da sammle ich keine Erfahrungen. Nicht in der Liebe. Das geht nur im Leben.

Rudolf Thome wurde am 14. November 1939 in einem hessischen Dorf geboren. Nach seinem Germanistikstudium jobbte er auf dem Bau, in einer Bausparkasse und begann Filme zu drehen. Sein zweites Werk "Rote Sonne" avancierte zum Kultfilm der 68er. Uschi Obermaier spielt darin die Bewohnerin einer Frauen-WG, die ihre wechselnden Liebhaber erschießt. Ein Erfolg, an den er in Deutschland nie wieder anknüpfen konnte.

Seinem Thema blieb er in 27 Filmen dennoch treu: ironische Geschichten über das Liebesleben moderner Großstädter. Seit 1977 produziert er seine Filme auch selbst, dabei unterstützt ihn finanziell die sonst eher auf Mainstream abonnierte ZDF-Firma Degeto. Thome hat drei Söhne, eine Tochter - und einen alten Bauernhof in Brandenburg. Wenn er nicht im Garten oder an einem Film arbeitet, bloggt er in seinem Internet-Tagebuch unter: www.moana.de.

Dann reden wir darüber. Sie waren dreimal verheiratet.

Um es genau zu sagen, gab es in meinem Leben wohl sieben wichtige Frauen.

Wenn Sie zurückblicken: Hat es überhaupt Sinn, eine Beziehung auf so etwas Unverlässlichem wie der Liebe aufzubauen?

Natürlich geht es auch ohne große Emotionen. Vernünftig. So wurde früher geheiratet, und das waren zum Teil sehr gute Ehen. Diejenigen, die sie arrangiert haben, waren nicht von ihren Gefühlen verwirrt, sondern haben ganz klar überlegt, was zusammenpasst und was nicht. Daraus kann sogar Liebe entstehen.

Und das funktioniert heute noch?

Nein, jedenfalls nicht in unserer westlichen Welt, weil wir so ein Arrangement ablehnen. Hier träumt doch jeder von der großen Liebe. Davon, dass ein Mensch alle Wünsche erfüllen kann: Leidenschaft, Nähe, Verständnis. Das ist eine romantische Vorstellung aus dem 18. und 19. Jahrhundert, mit der wir aufgewachsen sind. Wir können sie nicht einfach wegwischen.

Sondern laufen weiter einem Traum hinterher.

Nicht ganz, denn das Gefühl, das wir Liebe nennen, ist auch das Ergebnis einer einigermaßen nüchternen Kalkulation. Man verliebt sich ja nicht blind, sondern weiß etwas über den anderen, bevor das alles passiert. Ich halte die Liebe immer auch für das Erzeugnis einer buchhalterischen Berechnung - die unser Kopf aber oft von ganz allein anstellt, ohne dass es uns bewusst wird.

Wird die Liebe dadurch verlässlicher?

Na ja, unser Kopf kann sich auch verrechnen, weil der andere sich nicht so verhält, wie erwartet. Außerdem verändert sich eine Beziehung. Wenn es schlecht läuft, sehen wir nur noch die negativen Seiten am Partner. Einige Frauen, mit denen ich zusammen war, haben dann versucht, mich zu verändern. Lieben heißt aber doch nicht, sich eine Kunstfigur so zurechtzuformen, dass sie einem gefällt.

Einige Paarpsychologen gehen noch weiter. Sie sagen, wir müssten uns von der Vorstellung verabschieden, dass Glück machbar sei, sondern lieber als Paar einigermaßen zufrieden sein. Sind unsere Glücksvorstellungen zu unrealistisch?

Nein, ich darf glücklich sein wollen. Aber ich darf nicht vom anderen verlangen, dass er mir zu diesem Glück verhilft. Und sollte ihn sonst einfach tun lassen, was er tun möchte. Als Filmproduzent versuche ich das auch zu beherzigen: Ich muss anderen zwar zeigen, wo es langgeht. Aber ich zerre nicht an ihnen herum oder sage ihnen, wie sie es besser machen sollen.

Lieber sind Sie hinterher unzufrieden?

Klar, das kommt vor. Aber ich bin einfach niemand, der Lust an der Macht hat - und das sagt ein Mann!

Gab es bei Ihnen nach Trennungen Phasen, in denen Sie länger allein waren?

Ja. Und manchmal hat es zu lange gedauert. Da kam es vor, dass ich mit hungrigen Blicken durch die Straßen gelaufen bin, aber nie passierte etwas. Man kann noch so viel in Cafés rumsitzen. Oder tanzen gehen. Wenn man dabei die Zunge raushängen lässt, lernt man niemanden kennen. Ich jedenfalls nicht.

So etwas von einem Mann zu hören, ist ungewöhnlich.

Ich bin wohl ein Mann mit vielen weiblichen Anteilen, wenn Sie das so unterscheiden wollen. Und ich mag gern starke Frauen. Ich war immer begeistert von den Filmen des Regisseurs Howard Hawks - und von seinen Filmfrauen: Katherine Hepburn, Lauren Bacall. Seine Filmmänner sind meinen übrigens ziemlich ähnlich: Sie können zwar schießen und wilde Tiere jagen. Oder todesmutige Rennfahrer sein. Aber in dem Moment, in dem sie mit einer Frau konfrontiert werden, sind sie vollkommen hilflos.

Der Filmkritiker Enno Patalas hat Sie wegen Ihrer dominanten Frauenfiguren als einen der ersten Feministen bezeichnet. Andere haben geschrieben, Sie würden gegen Ihr eigenes Geschlecht rebellieren.

In meinem Film "Rote Sonne" mache ich das vielleicht, da haben die Frauen die Pistolen. Aber ich habe damit nie ein politisches Ziel verfolgt. Ich glaube, Männer lieben dominante Frauen. Ich liebe sie jedenfalls. Allerdings hatte ich damit auch Probleme. Im Leben, nicht im Film.

Sie verfassen Ihre Drehbücher seit vielen Jahren selbst. Denken Sie beim Schreiben manchmal: Oje, das wird schon wieder eine Beziehungsgeschichte?

Nein, weil ich am Anfang noch keine Geschichte habe. Ich gehe vom Titel aus und dann sammle ich um den Titel Personen, Drehorte. Und dann entwickelt sich eine Geschichte. Ich überlege mir nichts beim Schreiben, es geschieht fast automatisch.

Meinen Sie damit, dass Sie ohne Plan drauflos schreiben?

Mehr oder weniger. Aber dadurch, dass ich die Texte ins Internet stelle, auf meine Homepage, habe ich natürlich eine Kontrolle. Da werde ich auch kritisiert oder bekomme gute Ratschläge. Dann weiß ich, dass ich nicht völligen Mist schreibe.

Dabei haben Sie einen ganz eigenen Stil entwickelt. Und den verfolgen Sie trotz des geringen Erfolgs an der Kasse sehr eigenwillig. Ihre Filme tragen Ihre Handschrift. Sie sprechen ja selbst von Thome-Filmen.

Ich würde schon gern mal weg davon. Mein letzter Film "Pink" war ein Versuch. Ein kurzer, schnell geschnittener Film. Meine Tochter Joya und mein Sohn Nicolai mochten ihn. Aber auch er lief nicht an der Kasse. Ich wäre glücklich, wenn ich mal eine Million Zuschauer hätte. Ein bisschen habe ich das mal bei "Berlin Chamissoplatz" erlebt, der ein echter Liebesfilm war. Da kam ich zum Kino, und eine lange Schlange stand an der Kasse, das war toll. Wenn aber nur zehn Leute bei einer Premiere im Kino sitzen, dann möchte ich am liebsten sofort nach Hause gehen.

Wie erklären Sie sich, dass Sie in Frankreich mehr Erfolg hatten als hier? Die Zeitschrift "Cahiers du cinéma" hat Sie einmal als den "wichtigsten unbekannten deutschen Regisseur" bezeichnet.

Der Spiegel hat einmal einen Film von mir total verrissen, da hieß es: tiefgründelndes deutsches fürchterliches Mischmasch oder so. Und die Libération schrieb: ein kleines ironisches Meisterwerk. Ich spiele halt mit den Erwartungen der Zuschauer. Das ist meine Art von Ironie. Aber das verstehen die Deutschen oft nicht.

Was verstehen Sie unter Ironie?

Das bezieht sich auf eine grundsätzliche Haltung meines Erzählens. Ich erzähle Geschichten, die extrem einfach scheinen, schrecke vor keinem Klischee zurück, verwebe das mit märchenhaften, manchmal auch religiösen Bezügen. Ich will den Zuschauer provozieren, aber gleichzeitig bei der Stange halten. Ich unternehme jedoch nichts, um ihn emotional zu packen. Ironisch ist auch meine Haltung gegenüber den Figuren. Ich identifiziere mich mit ihnen, bin ganz auf ihrer Seite. Und gleichzeitig betrachte ich sie sachlich und distanziert. Wie ein Beobachter von einem anderen Planeten.

Ehrlich gesagt, fühlt man sich als Zuschauer bei Ihnen oft nicht ernst genommen.

Zugegeben, ich übertreibe oft. Was ich dem Publikum zumute, ist immer ein bisschen zu viel, das nehmen mir einige übel.

Und doch haben Sie immer so weitergemacht.

Das Filmen ist eine Leidenschaft, ich mache das ja nicht, um viel Geld zu verdienen, sondern weil ich es liebe. Ich werde filmen, bis ich tot bin.

Können Sie diese Leidenschaft beschreiben? Sie drehen seit einiger Zeit trotz hohem finanziellem Risiko fast jedes Jahr einen neuen Film.

Das hat Rainer Werner Fassbinder auch gemacht.

Der hat aber nicht lang gelebt.

Stimmt, weil er zu viel gekokst hat. Das mache ich nicht. Ich trinke eine Flasche Rotwein am Tag, was nicht so gefährlich ist. Warum ich Filme mache? Das ist mein Job, ich kann nichts anderes. Das Filmemachen hält mich lebendig, ich vergesse dabei auch das Älterwerden. Ich freue mich jedes Mal auf die Arbeit mit den Schauspielern. Wenn die gut sind, bin ich glücklich, dann ist mir alles andere wurscht.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.