Ruanda vor der Wahl: "Auch 100 Prozent ist Demokratie"
Das ganze Volk soll beim ruandischen Demokratietheater von Paul Kagame mitspielen, auch die zugelassenen Oppositionsparteien. Die nicht zugelassenen haben Angst.
RUKOMO/KIGALI taz | Die Dörfer im Osten Ruandas wirken wie ausgestorben: Läden sind geschlossen, kein Mensch ist auf der Straße, niemand harkt die Äcker an den Hängen. Schon am frühen Morgen mussten die Einwohner in Busse steigen: Jugendliche, Frauen mit Kindern, Alte, Behinderte in Rollstühlen. Sie wurden zu Paul Kagames Wahlkampf gekarrt.
In einer Senke bei Rukomo stehen mehrere hunderttausend Menschen dicht gedrängt in der prallen Sonne. Es ist heiß, das Rote Kreuz zerrt Bewusstlose aus der Menge. Dennoch winken die Massen mit den rot-weiß-blauen Fähnchen der regierenden RPF (Ruandische Patriotische Front) im Takt des Kagame-Popsongs, der aus gigantischen Lautsprechern schallt: "Wählt Kagame!"
Wie ein Superstar begrüßt die Masse den ruandischen Präsidenten, der hinter dem Steuer seines Geländewagens angebraust kommt. "Wir versprechen dir 100 Prozent", schreit die Menge im Chor. Kagame klatscht Hände, winkt den Massen zu. Dann steigt er auf eine Bühne: "Auch 100 Prozent ist Demokratie", brüllt er mit heiserer Stimme. Das Volk jubelt - für viele Ruander gilt Kagame als Retter des Landes aus dem Horror des Völkermordes von 1994, als er mit seiner Rebellenarmee RPF die Massenmörder vertrieb.
In Kagame-T-Shirt und Schildmütze feuert Taye Manzi seinen Präsidenten an. Der ältere Mann ist extra aus der Hauptstadt Kigali angereist. "Er hat uns Frieden und wirtschaftliche Entwicklung gebracht", schwärmt Manzi über Kagame. Er allein sei der Garant für Stabilität und der Einheit des Volkes. Und: Er habe mehr Demokratie versprochen. Dann sagt er, ohne danach gefragt worden zu sein: "Natürlich sind wir nicht gezwungen worden, hierher zu kommen."
Demokratie ist das Schlagwort, das Kagame in seinen Wahlkampfreden immer wieder benutzt. Den richtigen Kandidaten zu wählen; der Versuchung zu widerstehen; diejenigen zu ignorieren, die schlimme Dinge über Ruanda erzählen - "all das ist Demokratie", versichert er der Menge. Dies lässt sich als Seitenhieb gegen die internationale Gemeinschaft verstehen. Nach der Schließung zweier kritischer Zeitungen, der Ermordung eines Journalisten sowie eines Oppositionellen war Kagame jüngst stark in die Kritik geraten.
Deswegen bemüht man sich in Ruanda derzeit, zumindest den Schein zu wahren. Auf einer Wiese außerhalb Kigalis haben sich eine handvoll Mitglieder der Liberalen Partei versammelt. Kinder tollen herum, schwenken grüne Parteifähnchen. Ein paar Dutzend Frauen und Jugendliche kommen angelaufen, um kostenlose T-Shirts abzugreifen. Die Vize-Parteivorsitzende der lokalen Parteigruppe verteilt auch Schildmützen und Fähnchen. Diese habe ihr die Regierungspartei RPF gesponsert, sagt sie: "Alles, was wir unternehmen, ist mit der RPF abgestimmt." Sie flüstert, sie will ihren Namen nicht nennen, und sie verrät dann, dass sie selbst auch Kagame wählen werde.
Die Liberalen ebenso wie die ebenfalls mit der RPF verbündeten Sozialdemokraten hatten bei der Präsidentschaftswahl 2003 Kagame unterstützt. Seit den Parlamentswahlen 2008, bei welchen sie rund 10 Prozent der Stimmen erhielt, besetzt die Liberale Partei vier Sitze im Parlament. Um politisch zu überleben, spielt Parteichef Prosper Higiro das Demokratietheater bereitwillig mit. Scheinbar siegessicher spricht er zu den paar Dutzend Erwachsenen auf der Wiese: "Ich werde Kagame besiegen."
Ruandas Oppositionelle haben keine Wahl: Sie spielen die Marionetten in Kagames Wahlkampftheater. Wer nicht mitspielt, bekommt Probleme. Bernard Ntaganda, Chef der Sozialistischen Partei PS-Imberakuri, sitzt seit Juni im Gefängnis. Frank Habineza, Chef der Grünen Partei, wünscht sich, lieber im Gefängnis zu landen als im Leichenschauhaus, sagt er. Verängstigt sitzt er in seinem kleinen Büro, traut sich kaum mehr auf die Straße.
Vergeblich hat Habineza versucht, seine Partei zu registrieren. Selbst einst in der RPF aktiv, hatte er zu Beginn einflussreiche Mitglieder gewonnen. Zahlreiche RPF-Anhänger waren zwischenzeitlich zu den Grünen übergelaufen. Sie seien in den vergangenen Wochen alle zur RPF zurückgegangen, sagt Habineta und schüttelt den Kopf: "Der Druck war zu groß."
Habineza zeigt Fotos: Sein Stellvertreter Andre Rwisereka im Leichenschauhaus. Er wurde vor drei Wochen geköpft aufgefunden. "Vor wenigen Monaten haben wir noch mehr politische Freiheit eingefordert", seufzt er. "Jetzt darf ich froh sein, wenn ich überlebe."
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart