Ruanda und das Weltrechtsprinzip: Justiz verwickelt sich in Widersprüche
Seit einem Monat sitzt Ruandas Geheimdienstchef Karenzi Karake in britischer Auslieferungshaft. Der Spanischer Haftbefehl ist umstritten.
Zusammen mit 39 anderen Militärs der ruandischen Armee sowie Ruandas Präsident Paul Kagame wird General Karake des Mordes an sechs spanischen Nonnen und drei Mitarbeitern des spanischen Hilfswerks Médicos del Mundo in Ruanda während des Völkermords von 1994 und danach beschuldigt, sowie der Kriegsverbrechen an ruandischen Hutu-Flüchtlingen nach 1996, deren Jagd durch die ruandische Armee im Kongo die Ermittler als „Völkermord“ bezeichnen.
London hat aufgrund dieses Haftbefehls Karake in Auslieferungshaft gesteckt. Er genießt derzeit Haftverschonung und lebt unter strengen Auflagen in London, wo ab 29. Oktober über seine Auslieferung entschieden werden soll. Dies kommt allerdings zu einem Zeitpunkt, an dem Madrid das Weltrechtsprinzip der spanischen Justiz bereits stark eingeschränkt hat.
In einem vergleichbaren Fall schloss der spanische Richter Santiago Pedraz am 9. Juni die Ermittlungakte gegen drei US-Soldaten, die für den Tod des spanischen Kameramanns José Couto per Panzerbeschuss des Hotels Palästina in Bagdad während des Irakkriegs 2003 verantwortlich sein sollen. Der Richter begründete die Einstellung des Verfahrens damit, dass Spanien am 15. März 2014 das am 1. Juli 1985 ins spanische Recht eingeführte Weltrechtsprinzip, Grundlage auch der Ruanda-Haftbefehle, wieder eingeschränkt habe.
Die spanische Justiz darf seitdem lediglich gegen Spanier oder in Spanien residierende Ausländer tätig werden, oder gegen Ausländer, die im Ausland gesucht werden und deren Auslieferung an das Heimatland Spanien abgelehnt hat. All dies trifft auf Karenzi Karake nicht zu.
Richter Pedraz erwähnt in seiner Verfügung auch ein Urteil des spanischen Obersten Gerichts, wonach Klagen gegen China wegen „Völkermords“ in Tibet nicht in Spanien verhandelt werden könnten. In diesem Fall aus dem Jahr 2008 hatte der spanische Richter Ismael Moreno im Februar 2014 Haftbefehl gegen Chinas Expräsidenten Jian Zemin, Expremier Li Peng und weitere chinesische Amtsträger erlassen. Diese Haftbefehle sind nun vom Tisch.
Demzufolge müssten auch die Haftbefehle gegen Amtsträger aus Ruanda wieder aufgehoben werden – das finden jedenfalls Ruandas Regierung sowie die Afrikanische Union (AU). Deren Sicherheitsrat erklärte am 26. Juni, dass Spaniens Nationales Hohes Gericht bereits am 21. Januar alle Ruanda-Haftbefehle aufgehoben habe, und übte scharfe Kritik an Großbritannien. Die Verhaftung Karenzi Karakes sei „nicht nur ein Angriff auf einen ruandischen Bürger, sondern auf Afrika insgesamt“.
Die AU-Sicherheitsratserklärung basiert allerdings auf einer großzügigen Auslegung des entsprechenden spanischen Urteils. In diesem wird das spanische Ruanda-Ermittlungserfahren lediglich suspendiert und gegen 11 der 40 Personen, denen Völkermord ohne Bezug zu Spanien vorgeworfen wird, eingestellt, nicht aber gegen die anderen, bei denen der Vorwurf im Zusammenhang mit den Morden an Spaniern in Ruanda auf Terrorismus lautet. Die Haftbefehle werden außerdem lediglich provisorisch außer Kraft gesetzt.
Theoretisch könnte Karenzi Karake also trotzdem nach Spanien ausgeliefert werden. Und wenn er sich einmal auf spanischem Boden befände, könnte die Justiz auch auf Grundlage der neuen Rechtslage tätig werden. Aber ob die britische Justiz auf dieser Grundlage auch eine Auslieferung anordnen kann, ist unklar, und der spanische Richter Andreu Merelles müsste im Auslieferungsverfahren erklären, wieso er bei der Bestätigung des Haftbefehls gegen Karake die beiden spanischen Urteile vom Januar und Juni überhaupt nicht einbezogen hat. Es besteht offensichtlich ein Konflikt zwischen dem spanischen Recht und einem spanischen Richter.
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