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Ruanda schlittert in einen neuen Krieg

■ Nach dem Tod der Präsidenten Ruandas und Burundis durch ein Attentat marodiert Ruandas Armee in der Hauptstadt / Viele Tote, darunter die Premierministerin und belgische UNO-Blauhelmsoldaten

Berlin (taz) – „Es wird geschossen, die Menschen werden terrorisiert. Die Menschen bleiben in ihren Wohnungen und liegen dort auf dem Boden.“ Diese Lagebeschreibung gegenüber einem französischen Radiosender war eine der letzten Stellungnahmen der ruandischen Premierministerin Agathe Uwilingimana.

Während in der ruandischen Hauptstadt Kigali am Donnerstag bereits Kämpfe tobten, verließ die Regierungschefin mit bewaffneten UNO-Soldaten ihr Haus. Der Trupp wurde von ruandischen Regierungssoldaten aufgehalten und gewaltsam entwaffnet. Uwilingimana gelang die Flucht in das Gebäude des UNO-Entwicklungsprogramms UNDP, gefolgt von den ruandischen Soldaten. Daraufhin schickte der kanadische Kommandant der UNO-Truppe in Ruanda, General Romeo Dallaire, Panzerwagen los. Was folgte, war eine Parodie auf UNO-Militäraktionen: „Weisungsgemäß wandten die Blauhelmsoldaten keine Gewalt an, um durchzukommen, zumal die UNO den Kommandanten instruiert hatte, das Feuer nur zur Selbstverteidigung eröffnen zu lassen“, heißt es in einem UNO-Lagebericht. So gelang es den ruandischen Soldaten, die Premierministerin zu verschleppen. Am Abend wurde ihre Leiche gefunden.

„Die Weltgemeinschaft muß handeln“, hatte die Politikerin am gleichen Tage noch im Radio gefordert. Die „Weltgemeinschaft“ war schon da. 2.519 UNO-Soldaten sind in dem kleinen zentralafrikanischen Land stationiert, um die Einhaltung des Friedensabkommens vom August 1993 zwischen der Regierung und der Guerillaorganisation RPF zu überwachen. Dieses Abkommen wird bisher nicht umgesetzt – also tun sie nichts. Jetzt schießen aber Soldaten der Präsidialgarde, Milizionäre der Regierungspartei und RPF- Kämpfer aufeinander. Hunderte von Menschen sollen gestorben sein. Nach Angaben von „Médecins Sans Frontières“ wurden zahlreiche ruandische Mitarbeiter internationaler Hilfsorganisationen hingerichtet. „Exekutiert“ wurden nach Angaben der belgischen Regierung auch die zehn belgischen UNO-Blauhelme, die die Premierministerin schützen sollten. Andere UNO-Soldaten wurden von der Armee gefangengenommen, als sie zum Abschußort des Hubschraubers der beiden Präsidenten vordringen wollten.

Nicht nur militärisch, auch politisch hält sich die UNO zurück. „Soweit wir es überblicken können, befinden sich viele Waffen in vielen Händen, und wir wissen wirklich nicht, wer Schießbefehle erteilt und warum“, sagte UNO- Sprecher Moctar Gueye. Der UNO-Sicherheitsrat verurteilte am Donnerstag abend die „grauenvollen Übergriffe“ sowie „diejenigen, die dafür verantwortlich sind“ – ohne Präzisierung.

Vieles ist unklar in Ruanda, wo seit 1990 ein Kampf zwischen dem regierenden Hutu-Militär und der RPF stattfindet, die als Guerilla der einst mächtigen und seit Ende der Kolonialzeit exilierten Tutsi- Elite agiert. Regierungsstellen behaupten, die RPF habe den Präsidentenhubschrauber abgeschossen. Aber wieso riegeln Regierungssoldaten den Absturzort jetzt ab? Premierministerin Uwilingimana war einst Aktivistin der radikalen Hutu-Partei MDR. Wieso wurde sie dann, wie auch mehrere Kabinettsminister, von Hutu-Soldaten umgebracht?

Klar ist: Das in zwanzig Jahren Habyarimana-Herrschaft gewachsene Staatswesen Ruandas, in dem Verwandte und Freunde des Hutu- Präsidenten die Fäden zogen, bricht auseinander. Jene Hutus, die jeden Kompromiß mit den Tutsis ablehnen, wollen den Friedensvertrag mit der RPF kippen. Einem Bericht zufolge werfen Soldaten derzeit systematisch Handgranaten in die Häuser von Tutsis, von denen viele erst kürzlich aus dem Exil zurückgekehrt sind.

Die RPF, die gemäß dem Friedensvertrag in die ruandische Regierung aufgenommen werden soll, sieht nun ihre Stunde gekommen. Ein RPF-Sprecher sagte, seine Organisation wolle der UNO „helfen, die Ordnung wiederherzustellen“. Die 500 RPF-Kämpfer, die in Kigali gemäß dem Vertrag auf ihre Eingliederung in die reguläre Armee warten, haben zu den Waffen gegriffen, und weitere Guerillaeinheiten marschieren auf die Hauptstadt zu. Gestern kam es zu heftigen Kämpfen in verschiedenen Landesteilen, vor allem an der Straße zum von der Präsidialgarde kontrollierten Flughafen von Kigali.

Steuert Ruanda also auf einen Entscheidungskampf zu? Es kennzeichnet die verworrene Lage, daß nicht einmal das gewiß ist. Dominic Johnson

Kommentar Seite 10

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