Aus dem Beirat: Rotgrün steht zu Verkehrsberuhigung
■ Viertelkaufleute sehen sich als Opfer eines AnwohnerInnenboykotts
Der Beirat östliche Vorstadt hat sich am Dienstag abend als wahrer Fels in der Brandung erwiesen. Nach einer dreistündigen, zum Teil erhitzten Diskussion im Bürgerhaus Weserterrassen fiel der Beschluß, die Verkehrsberuhigung im Ostertorsteinweg und Vor dem Steintor aufrecht zu erhalten. Der CDU/FDP-Antrag auf sofortige Rücknahme des Fahrverbotes wurde mit elf zu sechs Stimmen abgelehnt.
Die ersten beiden Stunden der Beiratssitzung gehörten dem offenen Meinungsaustausch zwischen AnwohnerInnen und Kaufleuten im voll besetzten Saal. Tumulte löste der grüne Ex-Umweltsenator Ralf Fücks aus: „Wer hat Sie eigentlich bei Ihrer Kampagne gegen die Verkehrsberuhigung beraten? Den sollten Sie auf Schadensersatz verklagen!“, kritisierte er die Geschäftsleute. Wer massive Anti-Werbung betreibe, brauche sich nicht zu wundern, wenn die Kunden ausblieben. Damit zog Fücks zwar die geballte Wut der Geschäftsleute auf sich, dennoch traf er damit den Kern der Auseinandersetzung. „Warum rufen Sie jetzt nach staatlichen Hilfen, statt unternehmerische Kreativität zu entwickeln und die Chancen der Verkehrsberuhigung zu vermarkten?“, fragte ein Anwohner. Obwohl sie die Viertelmeile derzeit für einen „öden Windkanal“ halte, biete der neu gewonnenen Platz doch jede Menge Gestaltungsmöglichkeiten, meinte eine andere. Was dem Viertel fehle, seien nicht die Autos, sondern die gemeinsame Anstrengung, aus der kahlen Schneise eine Flaniermeile samt Straßencafes und Kulturprogramm zu machen.
Die Kaufleute hielten dagegen, in ihrer Not bleibe ihnen gar nichts anderes übrig, als öffentlich Druck zu machen. Schließlich seien bis zu 80 Prozent Umsatzrückgang existenzbedrohend. „Wer den Einzelhandel im Viertel will, der muß die Autos fahren lassen“, sagte ein Geschäftsmann.
Vollends in die Opferrolle gedrängt sehen sich einige Kaufleute durch AnbewohnerInnen, die zukünftig um solche Geschäften einen Bogen machen wollen, in denen Unterschriften gegen die Verkehrsberuhigung gesammelt werden. Eine Geschäftsfrau sprach gar von einem regelrechten Boykott: „Das erinnert mich an die Zeiten, als es in Deutschland hieß: Kauft nicht bei Juden!“. Damit erntete sie Entrüstung im Saal und ein scharfes Wortgefecht mit Silvia Schöne, die für die Grünen im Beirat sitzt. „Für diese Art der Geschichtsklitterung fehlen mir die Worte“, war Schönes Kommentar.
Erstauntes Schweigen folgte dagegen auf den Beitrag von Peter Müller, Verkehrsreferent des BUND Bremen. Stichprobenartige Verkehrszählungen des BUND Mitte Dezember und Mitte Januar hätten ergeben: Der Fußgängerverkehr im Viertel hat um 3,4 Prozent zugenommen.
Einig waren sich alle RednerInnen darin, daß der Zeitpunkt für die Vekehrsberuhigung mitten im Winter völlig verfehlt war. Außerdem hätte zum Beispiel ein Stadtteilfest als Auftakt für die neue Verkehrssituation eine bessere Stimmung verbreiten können, als die mit Strafzetteln bewaffneten PolizeibeamtInnen.
Nach gut drei Stunden erregter Debatte setzte sich doch noch die Beiratsmehrheit gegen die Mehrheit der im Saal Versammelten durch: Bei der Abstimmung über den CDU/FDP-Antrag zählte eben nur die Meinung der gewählten PolitikerInnen. Die Verkehrsberuhigung soll für ein Jahr getestet werden, erst dann könne man Erfolg oder Mißerfolg beurteilen.
Elke Gundel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen