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Rote Karte für Jens LehmannVeto vom Vorsteher

Stuttgarts Torwart Jens Lehmann wird weder suspendiert noch entlassen. Der VfB-Trainer Christian Gross springt dem ungezogenen Torwart bei.

Nachdem er den Mainzer Spieler Aristide Bance (r) angerempelt hatte, winkt Jens Lehmann (l) ab. Er bekam trotzdem die rote Karte. Bild: dpa

STUTTGART taz | Als gegen Mittag die ersten Autos der Spieler vom Parkplatz fuhren, zeichnete sich eine friedliche Lösung im Fall Jens Lehmann ab. Der 40 Jahre alte Torwart wird weder vorläufig suspendiert noch steht nach dem turbulenten Abend von Mainz eine baldige Trennung im Raum. Trotzdem scheint das Theater um Lehmann den Klub vor ernste Belastungsproben zu stellen. Erst nach langen Beratungen zeigte sich der VfB in der Lage, am Montagnachmittag eine Erklärung abzugeben. Neben dürren Sätzen gab der VfB eine zehntägige Verletzungspause des Keepers bekannt. Im Spiel in Mainz habe er folgendes erlitten: "Innenbandzerrung, Gelenkkapseleinriss und Bluterguss im linken Knie". Mancher wertet die Krankmeldung Lehmanns durch den Klub als Versuch, sein Revanchefoul gegen Aristide Bancé, das zu einer Roten Karte führte, in ein freundlicheres Licht zu rücken.

Zum Zeitpunkt der Verlautbarung hatte sich Lehmann bei seinen Kollegen für seinen Ausraster entschuldigt, die in Mainz auch zu einem Elfmeter führten, der die Stuttgarter und Trainer Christian Gross den ersten Sieg in der Liga gekostet hatten. Nach einem intensiven Gespräch mit Gross stand fest, der VfB-Coach würde an Lehmann festhalten. Der 55 Jahre alte Schweizer soll sein Veto gegen einen Rauswurf, den die Vereinsführung erwogen hatte, eingelegt haben. Schon vor der Partie gegen Mainz stand Lehmann nach Informationen der Stuttgarter Zeitung kurz vor der Suspendierung. Auch dabei soll Gross vehement sein Veto eingelegt haben. Der neue Coach rettete Lehmann den Job.

Gross hatte zuletzt betont, er wolle auf Lehmanns Erfahrung im Abstiegskampf nicht verzichten: "Ich bin überzeugt, dass Jens Lehmann hoch motiviert in die Rückrunde geht, um einen tollen Abschluss seiner Karriere zu haben". Gegen Viertel nach zwei fuhr dann Lehmann in einem dunklen Mercedes vom Vereinsgelände. "Jens hat sich bei der Mannschaft entschuldigt, er weiß, was sich gehört", berichtete Sami Khedira nach dem Training. "Wichtig ist, dass er Einsicht zeigt. Das tut er", sagte Cacau. "Wir stehen zu 100 Prozent hinter ihm", ergänzte Khedira. "Er ist ein Führungsspieler, der ab und zu seine Meinung äußert." Dass Lehmann im letzten Vorrundenspiel am Samstag gegen Hoffenheim nicht auf der Stuttgarter Bank sitzt, ist sicher. Gestern verhandelte VfB-Anwalt Christoph Schickhardt mit dem DFB-Kontrollausschuss über die Dauer der zu erwartenden Sperre, die sich zwischen zwei und drei Spielen bewegen soll.

Vor dem Trainingsgelände der Stuttgarter gingen schon lange vor dem Trainingsstart um 10.30 Uhr erste TV-Übertragungswagen in Stellung. Lehmann selbst tauchte beim Training der Reservisten nicht auf. Er wurde therapeutisch behandelt. Lehmann war am Morgen nach Stuttgart zurückgekehrt. In der Nacht zuvor war er mit dem Flugzeug direkt nach München geflogen. Vom Airport aus ließ er sich per Taxi zu seiner Familie an den Starnberger See fahren. Die VfB-Mannschaft reiste derweil aus Mainz ohne den Torwart zurück nach Stuttgart. Der hatte nach einer wilden Verfolgungsjagd rund um das Bruchwegstadion erst Zuflucht im Mannschaftsbus gesucht und war dann mit einem herbeigerufenen Taxi zum Flughafen kutschiert worden. Die Abreise sei mit dem Klub abgestimmt gewesen, hieß es.

Wie im Falle der Abmahnung und der Geldstrafe von 40.000 Euro verfahren wird, steht noch nicht fest. Lehmann war wegen "vereinsschädigendem Verhalten" bestraft worden. Er hatte dem Klub vorgeworfen, man habe sich bei der Entlassung von Teamchef Babbel von "pubertierenden Jugendlichen" quasi erpressen lassen. Lehmann teilte mit, er werde die Strafe nicht akzeptieren. Gleichzeitig hatte Lehmann gesagt, er könne sich nur schwer für den Abstiegskampf motivieren. "Der Klassenerhalt ist für mich kein Erfolg", maulte Lehmann.

Die neuesten Attacken markierten den vorläufigen Höhepunkt zahlreicher Fehltritte. Vergangenen Winter warf er dem entlassenen Teamchef Markus Babbel zu lasches Training vor - und zahlte 12.500 Euro Geldstrafe. In einem Spiel riss er Khalid Boulahrouz dessen Stirnband vom Kopf. Live in die Mitgliederversammlung zugeschaltet, warf er der Klubführung eine verfehlte Personalpolitik vor. In der Partie gegen Hoffenheim lief er bis ins Mittelfeld und holte sich den verlorenen Schuh von Sejad Salihovic, den er auf sein Tor warf. In Hannover legte er sich mit Balljungen an. Im Champions-League-Spiel gegen Unirea Urziceni pinkelte Lehmann während der Partie hinter eine Werbebande.

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10 Kommentare

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  • MC
    Moped City

    Oh, danke für die Blumen, Querdenker! Aber, und das muss ich zur Ehrenrettung der Sportjournalisten sagen: Sie sind viel besser als ihr Ruf. Okay, Ich bekenne, ich war mal Sportredakteur. Jetzt bin ich es nicht mehr - und darüber bin ich sehr froh. Denn das Problem des Berufes ist doch eins: Jeder denkt, er macht es besser. Und vor allem, und das sieht die Öffentlichkeit nicht, hat sich in den Medienhäusern in den vergangenen Jahren bei der Sportberichterstattung viel gewandelt. Früher hat man die Sportredakteure werkeln lassen und sich über sie lustig gemacht, weil die Aufgabe und die Materie Sport angeblich so banal ist. Heute ist es schick, Sportfan zu sein, seine Nase, auch z.B. als Chefredakteur oder als Verleger, im Vip-Bereich der Vereine blicken zu lassen, dort das unsägliche Gequassel der Leute aufzuschnappen.

     

    Und mit diesem gefährlichen Halbwissen trotten dann die Chefs in die Redaktionskonferenzen, haben von Tuten und Blasen keine Ahnung und wollen den Sportredakteuren erzählen, dass man mehr "auf die Emotionen eingehen muss" oder, "dass man da auch mal mehr polarisieren sollte" oder ähnlicher Quatsch. Parallel dazu werden die Planstellen gestrichen weil "sie als Sportredakteur haben doch sowieso einen der schönsten Berufe, den man sich vorstellen kann". So wird systematisch sportjournalistische Qualität getötet.

     

    Ich war Sportredakteur bei einer Tageszeitung in BaWü, mit einer sehr guten Sportredaktion. Dann kam der windelweiche Geschäftsführer daher und hat einen Chefredakteur eingestellt, dessen QUalifikation bei seinem Vorgängerblatt in Westfalen war, dem dort komplett durchgeknallten Verleger als rechte Hand in den Hintern zu rutschen. Dieser Journalismus-Verweigerer ist bekennender Schalke 04-Fan und hat noch nie eine Zeile über ein Fußball-Spiel geschrieben. Denkt aber, dass er es besser weiß und macht jetzt dort die hochklassige Sportberichterstattung kaputt - zum Leidwesen der Sportredakteure. Anderes Beispiel: Der Fußball-Zweitligist Koblenz gehört zu 49 Prozent dem Verlag der regionalen Monopolzeitung. Der starke Mann im Verein ist der Verleger der Monopolzeitung, Walterpeter Twer. So, und nun sagt mir mal bitte, wie bei solchen Verflechtungen der agierende Sportredakteur noch eine saubere und vor allem unabhängige Berichterstattung über den Verein herstellen kann. Wenn der nicht schreibt, was sein Chef, der gleichzeitig auch Chef des Vereins ist, will, dann fliegt er. So ist es dort auch.

     

    Ich arbeite jetzt als Politikredakteur in einem öffentlich-rechtlichen Laden und kann nur Eines sagen: es ist tausendmal einfacher und tausendmal stressfreier als das Agieren als Sportredakteur. Und man hat auch das Wochenende frei. Also, liebe Taz-Leser. Habt ein Herz für die professionellen Sportjournalisten. Auf ihnen wird ohnehin herumgetrampelt!

  • Q
    Querdenker

    @Moped City: Vollste Zustimmung. Danke für dieses Posting! Die Autoren der meisten Kommentare hier verfügen über 1000mal mehr Sachverstand als z.B. die Sport-Redakteure der "Welt". :o)

  • MC
    Moped City

    Hochleistung, nicht nur im Sport, hat viel mit Konzentration, Fokussierung und der Lenkung von Energie zu tun. Wenn das auf solch einem mentalen Niveau bei derartiger öffentlicher Wahrnehmung passiert wie bei einem Bundesligatorhüter, dann wundert es mich, dass sich bisher nur einer umgebracht hat. Spieler wie Lehmann oder früher Kahn waren oder sind deshalb so erfolgreiche Torhüter, weil sie sich mental fokussiert haben und hatten. Das führt zwangsläufig zu psychischen Überdrucksituationen. Also: Ich plädiere da auf einen moralischen Freispruch.

     

    Zudem: Wenn Bance einem auf den Fuß tritt (und seine Aktion war die Erste), dann ist das nichts. Wenn Lehmann das tut, gibt es Rot und Elfmeter? Diese berechtigte Frage haben die Medien nicht aufgegriffen. War der Schiri durch die in den Medien permanent durchgezogene Lehmann-Mania nicht mehr unabhängig in seinem Urteil?

     

    Da sollte man mal auch beim DfB drüber nachdenken

  • Q
    Querdenker

    Find ihn auch gut. Leider besteht die Liga zu 90% aus linientreuen Ja-Sagern.

  • C
    christoph

    mir ist es immer wieder ein rätsel, warum sportler mit rückrat so hämisch niedergeschrieben werden müssen. es wäre eher angebracht, partei zu ergreifen und gegen den sportkommentatoren-mainstream "anzustinken". jens lehmann ist erwachsen und lässt sich von pubertierenden jünglingen eben nichts gefallen.

  • MK
    Markus Krieger

    Salihovics Schuh lag in seinem Straufraum und nicht irgendwo "im Mittelfeld", und um in der Sache mit dem Balljungen ein Anlegen seitens Lehmann zu erkennen braucht es ebenfalls ein bemerkenswertes Maß an Fantasie

  • R
    Riesnfan

    Weltklasse der Mann! Man muss eben nicht jeden Mist mitmachen. Wären nur noch mehr solche Typen in der Liga.

    Bancé hätte nebenher bemerkt 2x verdient vom Platz zu fliegen...

  • S
    saalbert

    In Oliver we Trust? Da empfehle ich doch diesen Satz noch einmal zur gründliche(re)n Lektüre:

     

    "Zum Zeitpunkt der Verlautbarung hatte sich Lehmann bei seinen Kollegen für seinen Ausraster entschuldigt, die in Mainz auch zu einem Elfmeter führten, der die Stuttgarter und Trainer Christian Gross den ersten Sieg in der Liga gekostet hatten."

     

    seinen - die, der - hatten

  • AK
    andreas kettler

    Der Lehmann is und bleibt der coolste ;-)

  • T
    Tom

    Gut, Gewalt gegen Mitspieler ist natürlich Tabu und muss geahndet werden.

     

    Aber warum bitte darf ein Spieler den Vorstand oder den Trainer nicht kritisieren? Diese Logik erschließt sich mir nicht.