Rot-rote Annährung: Der Oskar-Faktor ist zurück

Die Linkspartei ist Tabupartner für die SPD auf Bundesebene. Die Ergebnisse vom Sonntag könnten das jetzt ändern - denn nur mit der Linken gibt es eine Machtperspektive für 2013.

Oskar Lafontaine: Für die meisten SPD-Abgeordneten ist der Name des Saarländers immer noch ein Reizwort. Bild: dpa

BERLIN taz | Selten hat man Franz Müntefering in den vergangenen Jahren nach einer Wahl so aufgeräumt erlebt wie an diesem Montag in der SPD-Parteizentrale. "Wir wollen gewinnen, wir müssen gewinnen, wir werden gewinnen", sagte der Parteivorsitzende mit Blick auf die Bundestagswahl am 27. September - als wäre der Durchmarsch der SPD nach den Landtagswahlergebnissen zwischen 10,4 und 24,5 Prozent im Prinzip schon ausgemacht.

Nur bei der neuen Machtoption, die sich am Sonntag aufgetan hat, mauert Müntefering. "Es wird keine Zusammenarbeit mit der Linkspartei im Bund geben", sagte Müntefering. Selbst eine Metapher aus den Siebzigerjahren, einen von einem Journalisten angeregten "Wandel durch Annäherung" an die Linke, wischte er mit einem einzigen Satz weg. Nein, diese Formel von Egon Bahr sei, bezogen auf die Linke im Willy-Brandt-Haus, noch nicht angekommen. Punkt.

Noch wehrt sich die SPD also gegen die neuen Kooperationsmöglichkeiten im Bund. Aber die Wahlen im Saarland und in Thüringen haben gezeigt: Die einzige reale Machtoption der SPD neben der großen Koalition ist ein Bündnis mit der Linkspartei und, wenn das nicht reicht, mit den Grünen. Auf Landesebene sperrt sich auch Müntefering nicht mehr dagegen, man solle über eine Zusammenarbeit "offen sprechen", gab er die Linie aus Berlin vor.

Sachsen-Anhalt: 1994 gab es das erste Bündnis zwischen SPD und PDS. Die rot-grüne Minderheitsregierung unter Ministerpräsident Reinhard Höppner (SPD) ließ sich von der PDS tolerieren - das "Magdeburger Modell". Von 1998 bis 2002 war Höppner erneut auf die PDS-Tolerierung angewiesen - die Grünen schafften es nicht in den Landtag, und die SPD regierte allein weiter.

Mecklenburg-Vorpommern: 1998 entstand die erste rot-rote Koalition mit Ministerpräsident Harald Ringstorff (SPD). Auch nach der Wahl 2002 blieb es dabei. 2006 erreichten SPD und Linkspartei zusammen nur noch eine Mehrheit von einer Stimme, die SPD koalierte mit der CDU.

Berlin: 2001 entschied sich der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) für ein "Magdeburger Modell". Seit 2002 regiert die SPD nur noch mit der Linkspartei. 2006 hätte Wowereit mit den Grünen koalieren können, er blieb aber bei der Linkspartei.

Doch auch wenn Müntefering das Thema für den Bund unter dem Tisch halten möchte, wächst mit jedem weiteren von SPD und Linkspartei regierten Bundesland die Wahrscheinlichkeit, dass auch im Bund bald das Tabu rot-rot-grüne Koalition fällt. "Die SPD kann die Zusammenarbeit nun weiter auf Länderebene ausprobieren", sagt der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte, "sie sollte sich zumindest mit Blick auf die Bundestagswahlen 2013 offen zu der Option bekennen." Korte würde dies sogar offensiv vertreten: "Die Machtperspektive würde die Partei mobilisieren und ihr jetzt schon helfen."

Verhaltener äußern sich die Bundestagsabgeordneten. "Wir führen die Diskussion seit zwei Jahren", sagt der Parteilinke Björn Böhning. "Mit der Außen- und Sicherheitspolitik der Linken geht es im Bund nicht". Dennoch sieht auch er den Zwang, für die Zeit nach der Bundestagswahl umzudenken: "Im linken Spektrum werden die Spielräume enger", sagt Böhning, "es gibt einen säkularen Trend zu einer rot-rot-grünen Mehrheit im Bund".

Noch deutlicher wird der bayerische SPD-Landesvorsitzende Florian Pronold. "Wir müssen die Realitäten im Fünfparteiensystem anerkennen", sagt er, "auf lange Sicht kann eine Zusammenarbeit mit der Linken etwas sein, was im Bund funktioniert." Pronold: "Mit Lafontaine ist dies aber nicht möglich." Für die meisten SPD-Abgeordneten ist der Name des Saarländers immer noch ein Reizwort.

Den Ausstieg aus der rot-grünen Bundesregierung vor zehn Jahren haben ihm viele nicht verziehen. "Eines der größten, schwierigsten Dinge" sei die damalige Erfahrung mit Lafontaine für ihn gewesen, sagt Parteichef Müntefering, "seine Zeit wird vorbeigehen, aber man weiß nicht, wann".

Ein Rückzug von Lafontaine könnte eine Zusammenarbeit der SPD mit der Linkspartei möglich machen. Für die Zeit nach der Bundestagswahl 2013 ist zu erwarten, dass der dann 69-Jährige einem solchen Bündnis nicht mehr im Weg stehen würde. Viele vergrätzte Weggefährten unter den Sozialdemokraten werden bis dahin nicht mehr im Bundestag sitzen. "Wir Jüngeren haben kein emotionales Verhältnis in irgendeine Richtung zu Lafontaine", sagt der Gesundheitsexperte Karl Lauterbach.

Lafontaine selbst bemühte sich, nach den Wahlen festzustellen, dass eine Koalition mit der SPD im Bund nicht möglich sei: "Solange die SPD den Sozialstaat zertrümmert und Kriege befürwortet, ist die Chance einer Zusammenarbeit gleich null", sagte er. Auch der Politikwissenschaftler Korte sieht die Bedeutung des ehemaligen Parteivorsitzenden: "Der Oskar-Faktor ist wichtig."

Es läuft also auf die Bundestagswahl 2013 hinaus. Für den Weg hin zu einer Koalition mit der Linkspartei erwartet Korte aber auch in der Spitze der SPD eine Veränderung: "Diesen Prozess muss eine Person mit hoher Integrationskraft und großer Stärke vollziehen", sagt Korte, "es läuft auf Klaus Wowereit hinaus."

Wowereit habe "in Berlin vorgemacht, wie man den Koalitionspartner durch Einbindung auf ein normales Maß zurückstutzt". Er habe die Ergebnisse der Linken verschlechtert und dabei noch eines geschafft: "Man kann in Berlin sogar SPD-Politik erkennen."

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