piwik no script img

Rot-Rote bilanziert UntersuchungsausschussSpreedreieck: die Abrechnung

Rot-Rot legt seine Bilanz des Untersuchungsausschusses vor. Ergebnis: Die CDU ist schuld - aber alles ist gut.

Der umstrittene Neubau an der Friedrichstraße Bild: dpa

Peter Kurth ist ein Wunder gelungen. Neun Jahre nachdem der damalige Finanzsenator der CDU aus dem Amt ausgeschieden ist, rettet er nun die rot-rote Koalition aus der Bredouille. Denn der von Kurth verantwortete, äußerst umstrittene Verkauf des Spreedreiecks hat dem Land Berlin trotz Entschädigungszahlungen in Millionenhöhe am Ende noch einen Überschuss von mindestens 4,2 Millionen Euro gebracht.

Zu diesem überraschenden Ergebnis kommen zumindest Uwe Doering (Linke) und Torsten Schneider (SPD), die am Montag die Sichtweise der rot-roten Koalition auf die Ergebnisse des parlamentarischen Untersuchungsausschusses vorstellten. Das Gremium hatte zwei Jahre lang versucht, die Immobilienaffäre aufzuklären. Opposition, Landesrechnungshof und die Antikorruptionsorganisation Transparency International gehen hingegen von einem Schaden zwischen 8 und 30 Millionen Euro für das Land aus (siehe Kasten).

In dieser Geschichte kommt alles zusammen: ein jüdischer Theatergründer und die Nazis, ein Grundstück, das Architektur- und Ost-West-Geschichte geschrieben hat. CDU- und SPD-Politiker, die versuchen, alles gut zu machen, und sich stets nur tiefer in die Misere reiten. Das Spreedreieck neben dem Bahnhof Friedrichstraße war über Jahrzehnte weitgehend eine Brache. Zu Mauerzeiten wurde auf einem Teil des Geländes der Tränenpalast gebaut, in dem sich Ostberliner von Freunden und Verwandten verabschiedeten, die mit dem Zug in den Westteil der Stadt fuhren. Schon in den 1920er Jahren wurde das Grundstück berühmt, weil der Architekt Ludwig Mies van der Rohe dort ein Hochhaus geplant hatte. Sein Entwurf wurde, obwohl nie verwirklicht, zu einer Ikone der modernen Architektur. Er beflügelt bis heute die Träume von Investoren - auch die von Harm Müller-Spreer.

Die anderen Rechnungen

Der Rechnungshof kommt im Fall des Spreedreiecks auf einen Schaden von knapp 9 Millionen Euro. Er bezieht sich auf die Verluste, die der Verkauf des landeseigenen Grundstücks an der Friedrichstraße dem Land brachte. Investor Müller-Spreer errang damals ein maßgeschneidertes Baurecht im Gegenzug dafür, dass das Land die Ansprüche der Bahn beim Grundstücksverkauf nicht berücksichtigt hatte. Andere Unternehmer klagten wiederum gegen das Müller-Spreersche Baurecht und erhielten ebenfalls Schadenersatz.

Die Grünen-Fraktion bezieht in ihre Rechnungen auch Streitigkeiten mit Nachbarn auf der anderen Seite der Friedrichstraße ein und kommt daher auf den höchsten Minuswert: 30,2 Millionen Euro Schaden sind dem haushaltspolitischen Sprecher Jochen Esser zufolge für das Land entstanden.

Die summieren sich wie folgt: 8,7 Millionen Euro verlor das Land durch Entschädigungszahlungen an Investor Müller-Spreer. 730.000 Euro kamen durch die gegebenen zwei kostenlosen Flurstücke hinzu. Auf 6,8 Millionen Euro beziffert Esser den Schadenswert, der durch die 40 Prozent zusätzlich gegebene Baumasse entstand. 4 Millionen Euro mussten zusätzlich an den Gebäudebesitzer des Hotels gegenüber gezahlt werden. Dazu kommen laut den Grünen 3,2 Millionen Euro Schaden durch eine Mindestkaufpreisgarantie bei der Friedrichstraße 103 - auf der anderen Straßenseite, die später nicht erreicht worden sei. Nochmal knapp 7 Millionen Euro seien der Projektgruppe, die hinter diesem Hotel steht, zugekommen - unter anderem, weil die Investoren den Preis für das landeseigene Grundstück um mehrere Millionen drückten - unter Hinweis auf den schwächelnden Immobilienmarkt.

Die 32,2 Millionen Euro vermiedenen Restitutionsansprüche an die Erben von Max Reinhardt dürfen nach Ansicht der Partei nicht berücksichtigt werden - anders als es SPD und Linke tun. Deren Vorgehen wertet Esser als "abenteuerlich".

Die CDU-Fraktion schließt sich letzterer Bewertung an; SPD und Linke betrieben "Schönfärberei". Bei der Berechnung der Schadenshöhe gibt sie sich indes vorsichtiger. Es sei zwar von einem Verlust von mindestens 20 Millionen Euro auszugehen, heißt es aus der Fraktion. Der setze sich aus Ausfällen und Schadenszahlungen sowohl direkt am Spreedreieck als auch bei Geschäften mit Investoren auf der gegenüberliegenden Straßenseite zusammen. Mit der Umrechnung von zusätzlichen Geschossflächen in Geldwerte hält sich die Fraktion anders als die Grünen-Experte Esser hingegen zurück.

Die FDP-Fraktion hatte am Montag ihre Rechnung offenbar noch nicht abgeschlossen. Sie gab keine Stellungnahme ab.

KRISTINA PEZZEI

Ende 2000 kaufte der Hamburger Immobilienentwickler das Grundstück vom Land Berlin für umgerechnet 17,2 Millionen Euro. Verantwortlich war der damalige Finanzsenator Kurth. Dummerweise hatte einen Monat vor dem Verkauf ein Gericht befunden, dass der Bahn Anteile an einem Grundstück zustehen, wenn darunter ein S-Bahn-Tunnel verläuft. Somit gehörte ein Stückchen des Spreedreiecks der Bahn. Der Investor konnte nicht wie gewünscht bauen.

Zur Entschädigung erstattete ihm das mittlerweile von SPD und PDS regierte Land 2004 über 8 Millionen Euro vom Kaufpreis. Zudem bekam er noch Ersatzgrundstücke und die Erlaubnis, mehr zu bauen: statt der ursprünglich vorgesehenen 15.000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche nun 17.500 Quadratmeter.

Das reichte dem Investor nicht. Er plante ein Gebäude mit mehr als 20.000 Quadratmetern, was ihm unter Zeitdruck von Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) auch genehmigt wurde. Prompt klagten die Eigner eines Hotels auf der anderen Straßenseite erfolgreich gegen die drohende Verschattung. Sie wurden vom Land mit 4 Millionen Euro beruhigt.

Um trotzdem noch einen Überschuss ausweisen zu können, bemühen SPD und Linke die Geschichte. Auf der anderen Spreeseite hatte einst Max Reinhardt das Deutsche Theater gebaut, das ihm die Nazis wegnahmen. Nach dem Mauerfall verlangten Reinhardts Erben umgerechnet rund 32 Millionen Euro Entschädigung. Ihr Rechtsnachfolger - nicht zufälligerweise ein Mann Namens Harm Müller-Spreer - wurde schließlich mit nur 15 Millionen Euro aus dem Spreedreieckverkauf abgefunden. Bleiben laut Rot-Rot rund 17 Millionen Euro übrig. Und das reicht locker für alle später notwendigen Millionenentschädigungen - ganz egal, ob sie nun von einem CDU-Finanzsenator oder einer SPD-Stadtentwicklungssenatorin zu verantworten sind.

"Wenn man den Grundstücksverkauf solitär betrachtet, ist ein Schaden entstanden", gibt selbst Torsten Schneider zu. Allerdings müsse man "strukturell sauber die Folgen für das Land Berlin bilanzieren". Und da bleibe am Ende ein Plus von über 4 Millionen Euro - mindestens. Denn wenn die Bauverwaltung zu Zeiten der rot-roten Koalition nicht den verschiedenen Immobilienbesitzern entgegengekommen wäre, wäre alles noch viel schlimmer geworden, rechnet Schneider vor. Die Rückabwicklung der Verträge hätte das Land bis zu 40 Millionen Euro kosten können.

Die Opposition im Abgeordnetenhaus allerdings regt sich über "Schönfärberei" auf. Laut Transparency International darf man die Entschädigung der Reinhardt-Erben nicht mit dem Spreedreiecksverkauf verrechnen - und schon gar nicht mit 32 Millionen Euro. Denn das sei eine "Mondzahl", die ausschließlich auf einer überhöhten Forderung der Erben beruhe.

Am Spreedreieck steht mittlerweile ein voll vermieteter Zehngeschosser. Harm Müller-Spreer dürfte seinen Schnitt gemacht haben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.