piwik no script img

Rot-Rot hat nur noch eine Stiime MehrheitDie Luft wird dünn für Klaus Wowereit

Die SPD-Abgeordnete Canan Bayram wechselt überraschend zu den Grünen. Damit haben SPD und Linke nur noch eine Stimme Mehrheit im Berliner Abgeordnetenhaus.

Canan Bayram, EX-SPD-Abgeordnete Bild: SPD

Die rot-rote Koalition ist gehörig ins Straucheln geraten. Die bisheriger SPD-Abgeordnete Canan Bayram hat am Dienstag überraschend ihren sofortigen Übertritt zu Grünen bekannt gegeben. Damit haben SPD und Linke nur noch einen Sitz mehr im Parlament, als CDU, Grüne und FDP. Und selbst dieser knappe Vorsprung wackelt. Denn auch die Zukunft des bisherigen haushaltpolitischen Sprechers der Linken, Carl Wechselberg, ist offen. Er hatte letzte Woche wegen heftiger Kritik an seiner Partei alle Ämter niedergelegt, seinen Parlamentssitz aber vorerst behalten. Über weitere Schritte wolle er erst nach einer Aussprache mit der Fraktion entscheiden, sagte eine Sprecherin. Die Aussprache dauerte bei Redaktionsschluss noch an.

Siehe auch

taz vom 31. März: Frauensenator hält zu Männern

taz vom 7. März: Helferinnen brauchen Hilfe

Bayram begründete ihren Übertritt mit wachsender Unzufriedenheit an der SPD. Besonders bei Frauen- und Flüchtlingspolitik laufe vieles in die falsche Richtung. Nur der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe, sei eine Aussage von Innensenator Ehrhart Körting (SPD) gewesen. Der hatte die Ausschreitungen am 1. Mai mit der Massenvergewaltigung einer Frau verglichen. "Ich habe deswegen das Gespräch mit Körting gesucht", sagte Bayram. Weder der Senator, noch der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion hätten eine Entschuldigung bei den Frauen für notwenig gehalten, bedauerte Bayram. Schon zuvor sei sie immer wieder an die Grenze dessen gestoßen, "was die Fraktion leisten will und kann". Besonders aufgestoßen ist ihr die Besetzung eines BVG-Vorstandsposten mit einem Mann. "Hier wurden eindeutig gesetzliche Regelungen missachtet", sagte die bisherige frauenpolitische Sprecherin der SPD. Als sie das kritisiert habe, sei ihr gesagt worden, man halte sich an ein solches Gesetz nur, wenn es gefalle.

Auch in der Flüchtlings- und Verkehrspolitik sehe sie sich mittlerweile bei den Grünen besser aufgehoben, sagte Bayram. So habe sie auf dem SPD-Landesparteitag vergeblich dafür geworben, dass die Ausländerbehörde nicht mehr Schulzeugnisse einsehen solle, bevor sie über Aufenthaltsverlängerungen entscheide. Zudem werde am geplanten Ausbau der A 100 nichts mehr geändert. "Das möchte ich nicht mehr mittragen", sagt Bayram. Die Stadtautobahn soll ihren Wahlkreis in Friedrichshain schneiden.

Die Fraktionsspitze der Grünen begrüßte den Übertritt euphorisch. Franziska Eichstätt-Bohlig bezeichnete Bayram als "urgrüne Persönlichkeit". Über ein Ende der rot-roten Koalition wollen die Grünen aber noch nicht spekulieren. "Erstmal werden wir die Opposition stärken", betonte der Co-Vorsitzende Volker Ratzmann. Alles weitere werde man sehen.

Der CDU-Fraktionschef Frank Henkel sah Rot-Rot "am Rande der Regierungsfähigkeit". Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit werde durch "dieses politische Erdbeben deutlich geschwächt". Denn seine Mehrheit fuße nur auf seiner eigenen Stimme. Über ein Misstrauensvotum denke die CDU "im Augenblick nicht" nach, ergänzte Fraktionssprecher Michael Thiedemann.

Der Regierende Bürgermeister bemühte sich um Gelassenheit. "Wowereit bedauert die persönliche Entscheidung" von Bayram, sagte Senatssprecher Richard Meng. "Er ist sich sicher, dass seine Politik weiterhin eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus hat". Die liegt derzeit ganz genau bei 75 zu 74 Stimmen. SPD-Fraktionschef Michael Müller betonte am Abend, die Arbeit der Koalition gehe weiter. Neuwahlen, so Müller, seien derzeit kein Thema.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • F
    fritz

    Pfui Deibel!

  • F
    fritz

    Frau Canan wurde als Kandidatin der SPD aufgestellt

    und gewählt, nun hat sie ihre Wähler bestohlen.

    Sie muss das Mandat niederlegen!

  • I
    ich

    Genau. Wie kann man nur von der SPD zu einer Partei wechseln, die HARTZ IV zugestimmt hat und für Militäreinsätze gestimmt hat. Wie absurd ist das denn? :-) #nachdenkenhilft

  • G
    GrünSchnabel

    Und dazu die grünen Kommentare zur Krise der rot/schwarzen Koalition in Kiel(SH). Ich glaube, die Grünen sehen schwarz/grün als letzte Möglichkeit zur Machtteilhabe. Diese SCHILL-ernde Partei KUSCHelt in HH sogar mit Ole von Beust. Und im "Jahr der schlechten Nachrichten" wird uns dann am 27. September vermutlich die Schlechteste ereilen.

  • S
    sozimod

    Was für eine Motivation hat Frau Canan zu den Grünen zu wechseln?

    Eine Partei die für Kriegseinsätze und Hartz IV gestimmt hat! Eine Partei die wie die großen sog. Volksparteien( Pharma und Großunternehmer Partei wäre wohl angebrachter) ihre Wähler entäuscht hat.

    Ich lese immer Realo in der Partei. Heute sind realos träumer und Träumer realos! Ich nenne so etwas Politik Trickserei, sie sollte ihr Mandat abgeben. Immerhin wurde sie gewählt als Linke Politikerin mit mit anderen Inhalten. Verläßlichkeit ist heute nicht mehr gefragt.