Rot-Grünes Bildungs-Chaos zur Halbzeit: Einmal an die Kinder denken
Nach zwei Jahren Rot-Grün unter Carsten Sieling starten wir unsere taz.bremen-Serie mit der Halbzeitbilanz des selbstgemachten Bildungschaos'
Denn der Wechsel ist einer der Gründe, warum unter der aktuellen rot-grünen Landesregierung so krass am Bedarf für Kindertagesbetreuung vorbei geplant wurde wie selten zuvor. 1.700 Plätze fehlten Bremen 2016 für Ein- bis Sechsjährige. In diesem Jahr sind es nach Einschätzung der Behörde nicht so viele – aber auch nur, weil ein großer Teil der Kinder in Mobilbauten spielen wird, einige Gruppen vergrößert werden und sich schon niemand mehr darüber aufregt, dass ein Teil der Plätze nicht pünktlich zum August zur Verfügung stehen wird, sondern erst irgendwann im Herbst und Winter. Hauptsache irgendwie untergebracht und von irgendwem betreut, lautet die Devise.
Anderthalb Jahre war das zuständige Kita-Referat – deren Leitungsstelle immer noch nicht besetzt ist – so sehr mit sich selbst und dem Umzug beschäftigt, dass sie nicht dazu kam, Baugenehmigungen für Um- und Neubauten zu beantragen oder sich mit der Frage zu beschäftigen, ob die Planungen der vorherigen Regierung hätten korrigiert werden müssen. Das war ein Versäumnis.
Denn anders als viele in der Stadt, darunter Opposition und Elternvertretung, behaupten, stimmt es nicht, dass eigentlich die Grüne Anja Stahmann als vorherige Sozialsenatorin das Kita-Chaos verbockt hat. Richtig ist: Auch sie hat großzügige Ausbauten gegenüber ihren SenatskollegInnen nicht durchsetzen können. Richtig ist auch: Um den Rechtsanspruch auf Betreuung von Unter-Dreijährigen ab August 2013 erfüllen zu können, hatte sie mit der sogenannten „Viertquartalskinder-Regelung“ 1.700 Plätze nur auf dem Papier geschaffen. Seitdem müssen Zweieinhalbjährige schon von der Krippe in den Kindergarten wechseln. Das ist pädagogisch fragwürdig und hat dazu geführt, dass jetzt auch in den Kindergärten für Drei- bis Sechsjährige Mangel herrscht.
1.700 unversorgte Kinder
Aber: Stahmann hat sich wie ihre SPD-Kollegin Claudia Bogedan auf Vorausberechnungen des statistischen Landesamts verlassen. Das aber hat erst seit diesem Jahr die seit 2012 steigende Geburtenrate eingerechnet. Deshalb hinkten die StatistikerInnen mit ihrer Prognose immer hinter den tatsächlichen Kinderzahlen hinterher – das hätte man im Bildungsressort wissen müssen. 2015, im Jahr von Bogedans Amtsantritt, hatte das Statistikamt ihre Prognose korrigieren müssen.
Damals lebten 1.102 Kinder unter sechs Jahren mehr in der Stadt, als Stahmann bei ihrer Ausbauplanung 2014 kalkuliert hatte. Der Zuzug von Geflüchteten war darin noch nicht eingerechnet, hätte aber alleine schon Grund genug für eine Korrektur sein müssen. Doch Bogedans Behörde korrigierte Stahmanns Planungen erst im September 2016 – nachdem das Statistikamt eine neue, aktualisierte Bevölkerungsvorausberechnung veröffentlicht hatte. Damit gab es noch einmal 600 Kinder mehr – also genau die 1.700 Kinder, die im August 2016 ohne Betreuung da standen.
Immerhin ist seitdem der Ausbau in Gang gekommen. Allerdings sollen jetzt so viele neue Einrichtungen – 55 Kindertagesstätten bis zum Jahr 2020 – entstehen, dass fraglich ist, wie in so kurzer Zeit ausreichend Nachwuchs-ErzieherInnen ausgebildet werden sollen. Alle Träger von Kitas klagen jetzt schon über Personalmangel, manche sagen, dass sie Leute einstellen müssen, die ihren Qualitätsansprüchen nicht genügen.
Überhaupt will die Kinder- und Bildungssenatorin Bogedan jetzt richtig klotzen. Vor den Verhandlungen für die Haushalte in 2018 und 2019 im Juni hatte sie ihre Forderungen gegenüber ihren SenatskollegInnen deutlich erhöht. So hatte sie sich im Februar mit 90 Millionen Euro mehr für Kindergärten und Schulen einverstanden erklärt. Jetzt sollen es mit 186 Millionen Euro doppelt so viel sein. Das Geld wird nicht nur für Gebäudeneu- und umbauten, sondern auch für mehr Sprachförderung, Schulsozialarbeit und Entlastungsstunden für LehrerInnen an Schulen in ärmeren Stadtteilen gebraucht.
Offenbar hat die Bildungsbehörde in den vergangenen Monaten die zahlreichen Brandbriefe von RektorInnen und Eltern aus Stadtteilen, in denen viele Kinder in schwierigen sozialen Verhältnissen leben, gelesen und ernst genommen.
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