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Roskilde-FestivalDie wirklich wahre lebende Live-Erde

Kommentar von Andreas Becker

Das Roskilde-Festival 2007 war wieder einmal ein gutes Trainingscamp für die Apokalypse: Man wühlte sich durch den tiefsten Matsch der Festivalgeschichte.

Gehört zu Roskilde wie der Korn zum Bier: Schlamm. : dpa

A ls sie mir das Festivalbändchen ums Handgelenk hefteten, fühlte es sich an wie eine provisorische Kabelbinder-Handschelle der Polizei. Der Regen wurde sofort stärker. Die Parkplätze waren schon, als wir ankamen, kaputt. Man ging dann erst mal in den Fotex-Supermarkt frühstücken. Schon da war ich vom Regengetrommel aufs Zelt so fertig, dass ich das Frühstück klaute und mir dann noch einen Refill-Kaffee für umsonst holte. Danach fuhr ich schwarz mit dem IC nach Kopenhagen - hauptsächlich, um in Ruhe auf Klo zu gehen. Ich sah bunt gesprenkelte Designergummistiefel von Paloma Picasso für 130 Euro.

Zur Sinnstiftung konnte man das Roskilde-Festival 07 als Statement gegen Live Earth verstehen. Wo die mit Sponsoren wie Smart dealten, hatten "wir" das harmlose Tuborg als Hauptsponsor - und das säuft sowieso jeder Tag und Nacht. Ansonsten ist Roskilde wohl immer noch das weltweit größte von Freiwilligen organisierte Festival. Über 20.000 Volunteers sammeln Dreck ein, sorgen für den Sound und bewachen rund um die Uhr die Autobahnbrücke, damit kein irre gewordener Festivalteilnehmer von dort aus auf die Fahrbahn springt. Letztes Jahr spendete man den Überschuss von 700.000 Euro an ein Aktionsbündnis gegen Sklaverei. Dieses Jahr sollen die Überschüsse an Bauern in Malawi gehen.

Donnerstagabend auf dem Weg zum ersten Konzert hatte sich ein rotes Auto festgefahren und hing kopfüber in einem kleinen See. Bei Arcade Fire packten die Kids das gute alte Woodstock-Mythenwerkzeug aus und riefen "No Rain!". Es nutzte aber nichts und wurde dann auch nicht wieder ausprobiert. Die Festivalzeitung hatte gerechnet: 1997 war es seit dem Festival-Beginn 1971 wettertechnisch bislang am schlimmsten - damals gabs eine Holzhütte als Sammelstelle für einzelne, im Schlamm steckengebliebene Schuhe. 1997 fiel aber nur halb so viel Regen wie 2007. Zwar finden die meisten Konzerte ja in fünf großen Zelten statt. Nur die orangefarbene Bühne, der größte Eventort, ausgelegt für 40.000 Leute, kennt keine Gnade: Alle stehen im Matsch und werden nass. Björk wirkte hier in ihrem bunten Riesenkleid und barfuß fast gehemmt. Sie sagte nichts - als täte es ihr leid, nicht auch pitschnass zu werden.

Am Freitag wurde es besser. Der Boden war zwar hin, von oben kam aber zunächst nichts mehr nach. Die Mädchen aus der Zeltstadt - die angeblich völlig abgesoffen und teils evakuiert worden war - sahen bis zu den Knien moddrig aus, waren aber im Gesicht frisch geschminkt.

Annika Trost, die zweite Hälfte von Cobra Killer, hauchte Zartes ins Zelt. Sie verwechselte ihr Mikro mit der Rotweinflasche, soff sich melancholisch und hauchte ihr persönliches Polit-Programm aus: "The next song is about me again." Später kletterte sie auf hohen Absätzen auf die Boxen, sprang aber nicht. Dann doch lieber alte Männer. Lee Scratch Perry hatte nach dem großartig groovigen Anthony B keine Chance und begann nach kurzer Zeit, zum Singsang mit roter Farbe ein Bild zu pinseln. Sonne, Mond und Sterne. Wolken kann er wohl nicht. Man wanderte zu den Beastie Boys ab. Über die freut man sich zwar immer, aber frischer sind die angegrauten New Yorker auch nicht geworden.

Es war ein Roskilde, beim dem die meisten Acts auf der orangefarbenen Bühne energetisch verpufften. Man freute sich zum Beispiel auf Queens Of The Stone Age, stand auch einigermaßen sicher ohne Pampe im Schuh, aber letztlich fehlte der Band die Power. Oft war auch der Sound zu lasch. Die Videowand vor einem liegt sowieso fast so weit weg wie MTV. Auch die Red Hot Chili Peppers hatten Kraftprobleme. Die Doppelbelastung, Samstagnachmittag in London bei Live Earth zu spielen und nachts bei uns, machte sie zu introvertierten Improvisierern, die sich minutenlang Gitarren- und Basssoli hingaben. Anthony Kiedis war erkältungsgeplagt und rang mit seiner Stimme. Ihre angejunkten Gesichter unter den Wollmützen sahen aus, als wären sie jetzt am liebsten im Übungskeller. Und The Who überhaupt einzukaufen, scheint einem wie ein Notopfer an Althippies über 60, die sonntags mit entsprechendem Ausweis gratis reinkommen.

Besser war es auf den kleineren Bühnen. The Whitest Boy Alive, ein Berliner Projekt des Norwegers Erlend Øye, rockten das Odeon-Zelt mit simplen, aber nicht verblödeten, emphatischen Beats - als hätte man Notwist massenkompatibel gemacht. Ein extrem dickes Technogerät fuhren die Brasilianer von Bonde Do Role. Ihr kurzer Auftritt knallte so rein, dass man nur noch auf dem Boden hocken oder tanzen konnte. Stolperte man danach hundert Meter bei Holly Golightly rein, die mit weißem Kleid und Blümchen im Haar leierigen Countrypop auswarf, erschrak man. Sie fragte dann auch noch ernsthaft, wo wir sonntags in die Kirche gehen.

Nachts um drei wollte man dann noch zu Dream Of An Opium Eater, wegen des tollen Bandnamens. Dieser Traum stellte sich als Balkankapelle heraus. Am nächsten Tag erst erfuhr man, dass man die Zelte verwechselt hatte und bei Fanfare Ciocarlia war. Am schönsten letztlich die Flaming Lips. Deren euphorischer Poet Wayne Coyne feuerte Konfettigeschosse ins Publikum und ließ sich in einer großen durchsichtigen Plastikkugel über die Köpfe rollen.

Am Sonntag schließlich kommt bei den tollen Wilco die Sonne raus. Live. So spät, dass es einem gemein vorkommt. Aber so ist sie in Roskilde eben gern, unsere matschige, lebende Erde. Komische Insekten werden uns überleben.

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