: Rosa Zeiten für Schwarzfahrer
■ Umstellung der Fahrschein-Automaten bei der BVG bringt für all jene Fahrgäste, die zufällig zu bezahlen vergessen haben, einen rechtsfreien Raum
Berlin. Die BVG stellt derzeit ihre Kartenautomaten für Einzelfahrscheine und Tagestickets um. Erstes Ergebnis der Anstrengungen: goldene Zeiten für Schwarzfahrer. Denn die neue Automatentechnik fordert von den Benutzern Eigenengagement und ein hohes Maß an Zahlungsehrlichkeit. Bislang spuckten die auf allen U- Bahnhöfen installierten Selbstbedienungsmaschinen nach Einwurf der Märker entwertete Fahrscheine aus.
Dies ist nun anders. Statt säuberlich abgestempelte Tickets kommen jetzt Blanko-Scheinchen aus dem Kasten. Der Fahrgast soll nun – und das hofft die BVG dringend – sein eben erstandenes Billett selbständig am drei Meter entfernten und leicht übersehbaren roten Entwerterkasten abstempeln. Die neue Regelung gilt bereits entlang der Linien 1, 3, 4 und 6. Bis Ende April soll es dann überall so sein.
BVG-Sprecher Wolfgang Göbel sagt, daß die neuen, verantwortungsbewußt zu nutzenden Automaten von den Fahrgästen selbst gewünscht worden waren. Denn die wollten die Chance eines Vorverkaufs haben. Aktuell allerdings scheinen die BerlinerInnen nicht am Vorverkauf, sondern am Schwarzfahren interessiert zu sein. Denn seit die BVG Modernisierungsanstrengungen unternommen hat, hören die BVG-Kontrolleure ganz neue Ausreden. Sie hätten doch einen Fahrschein gekauft, hören sie, und daß dieser selbst zu entwerten sei, wäre ihnen ganz unbekannt. Und in der Tat. BVG- Verkaufsabsatzleiter Bernd Müller räumt ein: „Wir kommen nicht umhin, zur Zeit großzügig zu verfahren.“ Die Kontrolleure hätten eine innerdienstliche Anweisung erhalten, jeden Einzelfall „genau zu prüfen“ und dabei „viel Fingerspitzengefühl walten zu lassen“.
Nicht bestätigen wollte die BVG, daß die Kontrolleure kürzlich Schnellkurse in Menschenkenntnis absolviert haben. Die Devise heißt offensichtlich nach wie vor „learning by doing“. „Unsere langgedienten Mitarbeiter“, so Müller, „kennen jede Masche.“ Schauspieler mit Multi-Blankofahrscheinen in der Tasche hätten also eine gute Chance als Fahrtenerschleicher enttarnt zu werden. Damit auch die Blindesten in Zukunft wissen, wie es bei der BVG langgeht, müßten die Hinweisschilder an den Fahrscheinautomaten mindestens dreimal größer als jetzt sein, monierte gestern ein Fahrgast am U-Bahnhof Kochstraße. Ihm wäre doch beinahe das Unglück widerfahren, aus Versehen drei Mark und zwanzig zu sparen. Daß der BVG trotz aller befristeten Kulanz in Zukunft Ärger droht, zeigen Erfahrungen aus Frankfurt und München. Dort müssen die Fahrgäste ihre Scheinchen schon seit Jahren selbst entwerten. Immer wieder kommt es deshalb zu handgreiflichen Auseinandersetzungen mit den sich unschuldig fühlenden blinden Passagieren. Ein für allemal könnte aller Ärger nur vermieden werden, wenn die Berliner von Moskau, New York oder Hongkong lernen würden. Seit Jahren gilt hier das Supermarkt-Prinzip. Die metallenen Drehkreuze entsperren sich erst, wenn ein Metallchip eingeworfen wird. Nur Hürdenspringer haben Schwarzfahrerchancen. Nikolas Müller-P.
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