: Ronaldo oder Samba-Oleg rennt
Dynamo Kiew: Legendärer Fußball im Dokumentarfilm ■ Von Christoph Schomberg
Libero Franz Beckenbauer hadert. Es läuft nicht so für den FC Bayern. Zum wiederholten Male an diesem Abend versickert ein Bayern-Angriff an der gegnerischen Strafraumgrenze. Ballverlust und dann der schnelle Konter. Präzises Abspiel und in der Mitte der eigenen Hälfte bekommt der Stürmer den Ball. Und läuft los. Bayern-Verteidiger Georg „Katsche“ Schwarzenbeck stellt sich ihm mutig in den Weg. Aber der Stürmer läuft, gänzlich unbeeindruckt, einfach an ihm vorbei. Mit Ball. Er läuft so schnell, dass noch nicht einmal seine eigenen Mitspieler Schritt halten können. Am Strafraum angekommen, scheint der Zauber vorbei, vier zu allem entschlossene Bayern umzingeln den Solisten. Vergeblich: Der Stürmer tanzt einen nach dem anderen leichtfüßig aus und schießt hart und platziert ins lange Eck.
Hauptdarsteller dieser Szene aus dem Supercupfinale 1975: der damals 22 Jahre alte Linksaußen Oleg Blochin. Sein Team: Dynamo Kiew, mit 13 Meisterschaftstiteln die erfolgreichste sowjetische Fußballmannschaft. Außer dem Supercup gewinnt Dynamo Kiew 1975 den Europapokal der Pokalsieger. Im selben Jahr wird Blochin vor Beckenbauer und Cruyff zu Europas Fußballer des Jahres gewählt. Experten bejubeln den „Fußball des 21. Jahrhunderts“.
Was ist ein Vierteljahrhundert danach aus den Helden jener legendären Mannschaft geworden? Dieser Frage gehen die Hamburger Filmemacherinnen Alexandra Gramatke und Barbara Metzlaff in ihrer Sportdokumentation Dynamo Kiew – Legende einer Fußballmannschaft nach, die heute auf dem Filmfest zu sehen ist. Im Mittelpunkt stehen Interviews mit den Ex-Superstars. Doch der Film lässt nicht bloß Helden von gestern ihre Großtaten aufzählen, sondern berichtet von einem Fußball-Mythos, der gleichsam beispielhaft ist für die Konkurrenz der politischen Systeme. „Wir hatten einen Minderwertigkeitskomplex gegenüber den westlichen Mannschaften“, sagt Wladimir Weremejew, inzwischen Co-Trainer der ukrainischen Nationalmannschaft, „vor allem was die Bezahlung angeht.“ Viel genützt hat der Ruhm den Spielern ja auch nicht. „Für den Supercup-Gewinn gab es keine Prämie“ erinnert sich Verteidiger Stefan Reschko, heute Polizist in Kiew, „wir durften uns als Andenken von unserem Geld ein Auto kaufen. Das war ein großes Privileg.“ Trotz Interesse von Vereinen wie Real Madrid durfte etwa Oleg Blochin das Land nicht verlassen. Erst Ende der 80er – fast 40 Jahre alt – unterschrieb er einen Profi-Vertrag und kickte in der österreichischen Liga.
Für ihre Dokumentation Dynamo Kiew haben Gramatke und Metzlaff zudem tief in sowjetische Sportfilm-Archive gegriffen und faszinierendes Material zutage gefördert. Ohne es freilich zu ahnen, wurden die braven Sowjetfußballer zu Role-Models für die Popkultur von heute. Wie sie da so in ihren zu engen Trainingsjacken und fettigen Seitenscheiteln aus Propellermaschinen sowjetischer Bauart klettern oder in ausgesprochen schlecht sitzenden Anzügen nebst psychedelischen Krawattenmustern beim Festakt geloben, auch zukünftig das Sowjetvolk mit gutem Sport zu erfreuen.
Die Dreharbeiten in Kiew verliefen indes nicht immer so kultverdächtig. Gramatke und Metzlaff waren kurz davor, das Projekt zu beenden, als Diebe ihre Kiewer Wohnung aufbrachen und die gesamte Film-Ausrüstung mitgehen ließen. Mit geliehener Kamera wurde schließlich weiter gedreht – wenn die Interviewpartner denn zum verabredeten Zeitpunkt erschienen. Gramatke: „Das läuft da irgendwie anders. Es ist in Kiew echt schwer, sich am Telefon zu verabreden. Wer nicht kommt, kommt einfach nicht. Ohne Begründung.“ Neu war diese Erfahrung nicht. Eine frühere Arbeit führte die beiden Dokumentaristinnen ebenfalls in die Ukraine. Metzlaff: „Da war die Hauptperson ein ukrainischer Arzt. Und der war auch nie da.“
Donnerstag, 19 Uhr, Metropolis
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