Romeo & Julia in Hamburg: Sing mir das große Gefühl

Einmal Gangsta-Hiphop, bitte - und schon sind wir wieder jung? Das Kokettieren mit Pop nutzt nicht immer, wie "Romeo und Julia" am Thalia Theater zeigt.

Kitschgefahr im Verzug: Olivia Gräser als Julia. Bild: dpa

"Das ist überhaupt nicht mein Alter!", stellt Romeo indigniert fest und lässt ratlos den Blick übers Publikum wandern. Sein Kumpel Benvolio hat dem frisch Verliebten gerade geraten, sich doch mal im Foyer der Thalia-Spielstätte an der Gaußstraße nach attraktiven Damen umzuschauen. Dort inszeniert Andreas Kriegenburg den ersten Akt von William Shakespeares "Romeo und Julia" als Klamauk. Auf einer Balustrade über den Köpfen der Zuschauer stolzieren die erbittert verfeindeten Vettern der Montagues und Capulets wie räudige Katzen einher und lärmen.

Mit Ausnahme des Titelpaars sind alle leichenblass geschminkt, tragen albinoblonde Perücken und scheußliche Anzüge, muffig gemustert wie Sofabezüge (Kostüme: Andreas Schaad) - Zombies und Untote im Vergleich zur unausgesetzt "Somewhere over the Rainbow"-trällernden Julia und zum leider unmusikalischen Romeo, der dafür andere Qualitäten ins Feld führt. "Ich kann fantastischen Kaffee kochen", raunt der Veroneser seiner Liebsten noch vor dem ersten Kuss ins Mikrofon. Schon erstaunlich, was der Jugend von heute so imponiert.

Und Romeo hat ja recht. Für die meisten Damen und Herren Zuschauer dürfte die Zeit schon ein gutes Stück zurückliegen, als die Liebe vermeintlich noch rein, radikal und unbedingt war oder, wie der einstige Jugendkulturspezialist Rainald Goetz es im Programmzettel formuliert: als Lebenslust sich noch wie Todeswunsch anfühlte. Auch Olivia Gräser und Daniel Hoevels, die Julia und der Romeo dieser Aufführung, sind keine 14-Jährigen mehr, sondern junge Schauspieler, die selbstverständlich ihre Mittel kalkulieren. Regisseur Kriegenburg aber will ausgerechnet die Mythos gewordene stürmische Unmittelbarkeit des Shakespeare-Liebespaars in Szene setzen. Das bleibt - ein Paradox. Und misslingt ziemlich gründlich.

Viel erwartet man vom Thalia Theater, das gerade mal wieder zum Theater des Jahres ausgerufen wurde, und viel von dem Regisseur Andreas Kriegenburg, seit vier Jahren Oberspielleiter in Hamburg. Er versucht auch diesmal, kanonischen Theatertexten eine Fantasiewelt jenseits von Aktualisierung entgegenzusetzen. Er selbst hat die hängenden weißen Wände und die tief eingezogene Decke in der Gaußstraßen-Studiobühne entworfen, auf der das Spiel nach dem Foyer-Auftakt weitergeht. Ein paar Eimer messingfarbener Patronenhülsen prasseln auf den Boden, von oben baumelt eine Holztafel, die zu Bett und Balkon, Schutzschild und Totenbahre werden kann. Davor blödelt sich das Clownsduo Benvolio (Paula Dombrowski) und Mercutio (Ole Lagerpusch) bemüht durch Dialekte, bis Mercutio bei einer Schießerei mit den Capulets sein Leben lässt. Was deutlich aufregender klingt, als es aussieht.

Die Tragödie schleppt sich. Die Eltern Capulet (Sandra Flubacher, Jörg Pose) entpuppen sich als eiskalte Fanatiker und verfügen die schnelle Zwangsverheiratung ihrer Tochter. Kaffeekocher Romeo geht den entschlossenen, aber fantasielosen Weg eines jeden jungen Helden und besorgt tödliches Gift; die weiß gekleidete Julia verwandelt sich vom Strahlegirl in ein Häufchen Elend und heult bis zum bitteren Ende durch. Andreas Kriegenburg feiert eine Party des Todes in einem Meer von Teelichtern, in dem sich Julia, im Brautkleid und mit Rosenblüten bestreut, überm toten Romeo ins Messer stürzt. Wie Fürst Escalus schon an anderer Stelle schimpfte: "Man kann gar nicht so viel fressen, wie man kotzen möchte."

Dass bei "Romeo und Julia" Kitschgefahr im Verzug ist, weiß man nicht erst seit dem H&M-Spot, der vor drei Jahren erwachsene Kinogänger nervte. Eine ästhetische Lösung bietet dabei ja stets die Flucht nach vorn und in die Form. Auch Andreas Kriegenburg legt überall da noch mal nach, wo das Feuer der Emotionen zu erlöschen droht, und übergießt den ganzen Shakespeare mit einem Spiritus aus gefühligen Musiken: Gangsta-Hiphop illustriert Gewalt und Bedrohung, verträumtes Pianogeklimper unterstreicht jeden Moment der Innigkeit, ein sehnsüchtiger Indiepopsong übertönt, dass die Spiele des Paares unter dem Leintuch ganz schön ausgedacht aussehen. Doch so viele Emotionszeichen Andreas Kriegenburg auch allen Ernstes aufbietet, sein Drama aus der Zeit der großen Gefühle bleibt fad und hohl.

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