Roman über islamische Revolution: Die Moral der Leute

Sarkastisch und drastisch schildert Amir Hassan Cheheltan in "Teheran Revolutionsstraße" die islamische Revolution. Das Original kann aus politischen Gründen vorerst nicht erscheinen.

Iranische Demonstranten vor der US-Botschaft in Teheran 1979. Bild: dpa

Dieses Buch ist in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich. Der Roman wurde in persischer Sprache geschrieben, aber zuerst auf Deutsch veröffentlicht; das Original kann aus politischen Gründen vorerst nicht in Iran erscheinen. Dafür ist das Buch hierzulande so erfolgreich, dass der Verleger es bereits wenige Wochen nach seinem Erscheinen in einer zweiten Auflage herausbrachte.

Ungewöhnlich ist das Buch auch deshalb, weil der Autor das Geschehen aus der Sicht der Personen darstellt, die er kritisiert. Er versetzt sich in die Anhänger der islamischen Revolution. Dank Ironie und Sarkasmus ist "Teheran Revolutionsstraße" trotz aller Bitterkeit nicht nur packend und bedrückend, sondern auch unterhaltsam. Bezeichnend ist der Originaltitel, der wörtlich übersetzt lautet: Die Moral der Leute aus der Revolutionsstraße.

Der Autor liefert ein lebendiges und differenziertes Porträt des nachrevolutionären Teheran. Seine Erzähltechnik ist perfekt - er führt den Leser mitten ins Geschehen: Gleich zu Beginn wohnen wir einer Operation zur Wiederherstellung eines Jungfernhäutchens bei. Ausgeführt wird sie von einem der Helden des Romans, einem Angehörigen der Teheraner Unterschicht, der als Arzt tätig wird.

Begonnen hat er seine Laufbahn als Lieferant eines Schnapshändlers. Danach brachte er es, durch Krankenschwestern angelernt, vom Putzmann in einem Krankenhaus zum Pfleger und als eifriger Anhänger der Revolution auch ohne Medizinstudium zum Operateur, ja sogar zum Chef einer zweifelhaften, aber wirtschaftlich erfolgreichen Klinik.

Er verliebt sich in die Patientin und will sie heiraten. Dem widersetzt sich jedoch ein anderer Revolutionär, ein Folterer, aber Vertreter einer jüngeren Generation und Altersgenosse des Mädchens. Die Männer überbieten sich gegenseitig an Skrupellosigkeit und Grausamkeit, treten dabei jedoch als gute Muslime auf.

Die Mutter des erwähnten "Doktors" ist hingegen eine ambivalente Gestalt. Einerseits fühlt sie sich der islamischen Revolution verpflichtet, andererseits verspürt sie Mitleid mit deren Opfern. Der fromme Großvater des jüngeren Bewerbers stellt staunend fest: "Gut, dass die Leute noch einen Glauben haben, nach all dem Unheil, das man im Namen der Religion und des Buches über sie gebracht hat." Die junge Frau, um die es geht, ist in ihrer Ausgeliefertheit ein Symbol der iranischen Gesellschaft.

Vom ersten Absatz an besticht die Verbindung von genauer Beobachtung, kritischer Beschreibung und einer Ironie, die die Heuchelei der bigotten Revolutionäre gnadenlos aufs Korn nimmt. Der Autor schildert menschliche Einzelschicksale vor dem Hintergrund globaler Politik wie der Besetzung der amerikanischen Botschaft in Teheran oder des irakisch-iranischen Krieges.

Drastisch ist die Beschreibung Teherans mit seinem wimmelnden chaotischen Verkehr, erschütternd sind die Bilder aus dem für politische Häftlinge bestimmten Gefängnis Evin.

Die Lektüre von "Teheran Revolutionsstraße" führt den westlichen Leser in eine ihm fremde Welt und vermittelt ihm ein besseres Verständnis des aktuellen Geschehens, das die internationale Öffentlichkeit immer noch in Atem hält. Sie überzeugt ihn, auch wenn die Übersetzung die sprachliche Eleganz des Originals nicht ganz erreicht, davon, dass die iranische erzählende Literatur den Anschluss an die Moderne gefunden hat und hinter der europäischen oder amerikanischen nicht zurücksteht.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.