: Romajagd in Nordböhmen
Gemeinsame Prügelkommandos von Skins und Punks / Roma wollen Verteidigungsgruppen bilden ■ Aus Prag Paul Hockemos
„Angriffe auf Roma sind zu einer fast alltäglichen Sache geworden“, sagt Vera, die aus Decin, einer Industriestadt in Nordböhmen kommt. Überfälle von Skinheads und Punks auf Roma haben jetzt auch auf Prag übergegriffen. Dort gingen am 1.Mai 200 fanatisierte Jugendliche auf Romajagd. Sie schlugen zwei farbige Kanadier zusammen.
Schon Ende April hatten in Novy Bor zwanzig mit Knüppeln und Schlagringen bewaffnete Skins und Punks eine Disko heimgesucht, die von Roma besucht wurde. Die Angreifer pöbelten erst die Mädchen an und schlugen dann die Männer zusammen, die ihnen zu Hilfe gekommen waren. Als die Polizei anrückte, lagen zwölf Roma mit Verletzungen und bewußtlos am Boden. Einer der Verletzten berichtete später, daß drei Punks im Alter von etwa dreißig Jahren ihn mit Flaschen traktiert hätten, bis er das Bewußtsein verlor. Ein anderer wurde an Händen und Füßen gefesselt und mit Maßkrügen geschlagen. Dieser Überfall war nur einer aus einer ganzen Serie von Überfällen auf Roma in mehreren nordböhmischen Städten. Ausgangspunkt der Gewalttätigkeiten waren Schlägereien nach einem Heavy-Metal-Konzert in Decin gewesen.
Im Gegensatz zu Westeuropa machen Skins und Punks in Böhmen bei ihren Angriffen auf Ausländer und Roma gemeinsame Sache. „Die Punkszene ist gespalten“, sagt ein Punk von der „Tschechischen Alternative“, einem der neuesten Punkklubs in Prag, „einige tendieren nach links, andere folgen den Skins in deren Haß auf alles Fremde.“ Noch ist die vereinte Punk und Skinszene klein, aber immer mehr junge Leute beteiligen sich an der Hatz auf Minderheiten, die für die sozial schwierige Lage in der CSFR als Sündenböcke herhalten müssen.
Die Bürgerinitiative der Roma, die Bestandteil des böhmischen Bürgerforums ist, hat an Präsident Vaclav Havel, an Regierung und Parlament appelliert. Sie hat angeboten, mit einer Bürgergarde die Polizei zu unterstützen, was diese aber ablehnte. Die Roma haben angekündigt, daß sie eigene Verteidigungsgruppen bilden werden, wenn die Polizei nicht rechtzeitig eingreift. Sie fürchten, daß, wenn erst einmal einer der Ihren ermordet worden ist, ihre Landsleute nicht von Gegenangriffen zurückgehalten werden können. Bislang hatte die Polizei mehrfach besondere Schutzmaßnahmen mit dem Hinweis auf Personalknappheit verweigert. Inzwischen hat Präsident Havel in einer scharfen Erklärung die Absetzung des Innenministers der tschechischen Teilrepublik gefordert, weil dieser beim Schutz der Roma und der vietnamesischen Gastarbeiter versagt habe. Er rief seine Landsleute auf, sich im Kampf gegen den Rassismus zu engagieren.
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